Kurzer Rückblick
Die bunten Kelche berührten sich…klang…klong…stießen sanft klingend gegeneinander…immer wieder…klang…kling...unentwegt…
Hunderte von Bäume… ein ganzer Wald…ein Klangwald spielte die nie verstummende Weise der Ruhe…
Wo befand sie sich hier? Wer hatte sich ihrer angenommen und sie mit allem versorgt, was sie für ihre Erholung benötigte… Doch Erholung von was…? Unsicher sah Thora sich um…
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In einer unbekannten Welt
Doch zwischen den seltsamen knorrigen Bäumen mit den langen grünblauen Ästen, die mit großen kelchförmigen Blüten übersäht waren, gab es keine anderen Lebewesen außer einigen bunten Vögeln mit langen, seidigen Schwanzfedern, die munter von Ast zu Ast hüpften und helle Laute in allen Tonlagen ausstießen.
Jedoch gelang es ihr nur mit einiger Konzentration, das Rufen und Schlagen der scheuen Baumbewohner gegen das allgegenwärtigen Klingen der Blüten herauszufiltern.
Lichte, von Sonnenlicht überflutete Pfade schlängelten sich in alle Richtungen durch den seltsamen Klangwald. Ziellos irrte sie lange Zeit zwischen den Bäumen umher. Der weiche, moosüberwucherte Boden umschmeichelte ihre nackten Füße. Niemand schien in der Nähe zu sein…
Es gab in dieser fremdartigen Welt scheinbar nichts außer den klingenden Bäumen, den bunten Vögeln mit den langen Schweiffedern, dem weichen Moosboden, auf dem herabgefallene Blüten lagen, dem warmen Wind, den exotischen Insekten, die träge durch das flirrende Sonnenlicht gaukelten und sie…die staunende Thora…ein Fremdling in dieser Welt.
Nein…hier drohte ihr keine Gefahr…denn die friedliche Harmonie, die sie lückenlos umschloss, war perfekt.
Sie beschloss schließlich, zur Hütte, in der sie kürzlich nach einem schmerzhaften Sturz durch fremde Dimensionen erwacht war, zurückzukehren. Vielleicht traf sie ihren unbekannten Wohltäter nun dort an. Doch in der Hütte, deren schmaler Eingang von keinerlei Tür verschlossen wurde, befand sich niemand. Alles war so, wie sie es verlassen hatte. Oder doch nicht?
Sie stutzte…
Die herabgefallene Decke von ihrem Lager lag sorgfältig gefaltet bereit, um erneut benutzt zu werden. Der aus der grünblauen Baumrinde der Klangbäume gefertigte Wasserkrug war aufgefüllt und die Obstschale aus dem gleichen Material war überreich mit neuen Obstsorten bestückt.
Wo war sie hier nur gelandet und vor allem war es ihr ein Rätsel, warum ihre Heimreise zum Relto in einen derartigen Fiasko enden konnte. Wer oder was hatte sie auf eine solch rabiate Weise von ihrem Ziel abgelenkt?
Zwar schien es ihr hier an nichts zu fehlen und jemand hatte sie sehr umsichtig versorgt, ganz zu schweigen von der sinnverwirrenden Schönheit dieser eigenartigen Welt, die sicher jeden sofort in ihren Bann zog…aber sie wollte heim. Doch wo befand sich ihre Kleidung und das Reltobuch, ohne das sie keine Chance hatte, jemals von hier fort zu kommen?
Angesichts dieser schockierenden Tatsache wunderte sie sich einen winzigen Augenblick über ihre Gelassenheit hinsichtlich ihrer ungewöhnlichen Situation und strich mit den Händen bewundernd über den zarten, kunstvoll gewirkten Stoff ihres weich, fallendes Gewandes, welches man ihr statt ihrer robusten Forscherkleidung übergestreift hatte.
Welch schöne Farben es hatte…und wie wohl sie sich darin fühlte….
Leicht und beschwingt drehte sie sich um ihre Achse…
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Im Dämmerlicht des fensterlosen Raumes, durch den nur durch den Türausschnitt Tageslicht fiel, erkannte sie im Hintergrund die Umrisse einer weiteren Öffnung. Vorsichtig bewegte sie sich darauf zu. Sie verhielt überrascht, als sie in der hintersten Ecke des angrenzenden Raumes auf einem einfachen Tischchen ein aufgeschlagenes Buch liegen sah.
Rasch eilte sie darauf zu und starrte mit angehaltenem Atem auf das Schaubild, auf dem sich über eine sanfte Hügellandschaft weiße Wolken bewegten. Hecken und kleine Wäldchen unterbrachen in regelmäßigen Abständen endlose Felder, auf denen vielerlei Obst - und Gemüsesorten in voller Blüte standen.
Sie hatte sich nicht getäuscht…dies war ein Verbindungsbuch…ein Verbindungsbuch in eine Agrarwelt, aus der allem Anschein nach die Früchte stammten, mit denen die Unbekannten sie so reichlich versorgt hatten.
Und sie waren wieder hier gewesen, als sie sich draußen bei den Klangbäumen aufgehalten hatte. Sie hatten das Trinkwasser und auch die Fruchtschale aufgefüllt. Sie würden wiederkommen…bald…
Ihre Blicke glitten zur anderen Ecke des Raumes und erkannten auf einem Schemel…sauber gefaltet…ihre Kleidung. Daneben auf dem Boden lehnte ihr Rucksack an der Wand und auf der Kleidung lag das Wichtigste, was sie besaß…ihr Reltobuch.
Hastig griff sie danach und atmete auf, als ihr das vertraute Bild ihrer Heimat entgegenleuchtete. Sollte sie…? Jetzt sofort…? Doch die Erinnerung an den schmerzhaften Sturz durch die fremde Dimension ließ sie zögern. Sie gestand sich schließlich ein, dass sie sich fürchtete, den Weg in die Heimat anzutreten.
War es nicht klüger, vorerst hier zu bleiben…in dieser phantastischen Welt aus Klängen und Realität gewordenen Träumen?
Unruhig biss sie sich auf die Lippen…sie war Forscher und auf den abenteuerlichen Forschungsreisen war für Furcht kein Platz. Wieso hatte sie plötzlich Angst?
Unschlüssig glitten ihre Blicke über die Wände… Im Halbdunkel einer kleinen Wandnische leuchtete etwas, was ihr bekannt vorkam.
Vorsichtig griff sie danach und stieß einen leisen Überraschungsschrei aus. Sie hielt eine Metallplatte in der Hand, ähnlich derer, die sie vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam mit Sharie auf einer denkwürdigen Forschungsmission in der Schatzkammer der Welten gefunden hatte.
Sie bückte sich und öffnete rasch den Rucksack, aus dem sie nach einigem Suchen mit klopfendem Herzen die Metallplatte hervorzog, die unter so abenteuerlichen Umständen in die Hände der Forscherfreundinnen gelangt war.
Fasziniert sah sie von einer Platte zur anderen. Sie waren zweifellos identisch! Damit stand fest, dass es eine Verbindung von dieser eigenartigen Welt zur Schatzkammer der Welten gab, die tief unter der Oberfläche einer Waldregion von Nyruga verborgen lag.
Wehmutsvoll dachte sie an die damalig so abrupt abgebrochen e Forschungen. Entschlossen nahm sie sich vor, das Rätsel der Schatzkammer einschließlich der angrenzenden, großen Halle mit dem atemberaubenden Inhalt beizeiten zu lösen. Sie war überzeugt, dass diese Klangwelt, in der sie auf so verwirrende Weise verschlagen wurde, ein wichtiges Puzzleteil eines umfassenden Geheimnisses war.
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Doch bevor die Erinnerungen die Oberhand gewannen, schalt sie sich energisch zur Ordnung.
Gleich morgen wollte sie sich auf den Weg zur Schatzkammer machen…Sie konnte ihre Wasserflasche mit dem frischen Wasser auffüllen und die schmackhaften Früchte als Wegzehrung mitnehmen. Zudem konnte sie von der Schatzkammer aus sicher wagen, einen Abstecher zum Relto zu machen.
Freudig erregt ballte sie die Fäuste…sie hatte ein neues Ziel! Sie hatte sich vollständig erholt und niemand hielt sie hier fest…
Heute wollte sie noch in dieser phantastischen Welt aufhalten und den immerwährenden Klingen des Klangwaldes lauschen…
Sie schlief tief und traumlos und als sie nach vielen Stunden die Decke zurückschlug, fühlte sie sich frisch und ausgeruht.
Und wieder wanderte sie nach einem erquickenden Mahl zwischen den knorrigen Bäumen umher…lauschte hingebungsvoll den Stimmen der Blüten und den Vögeln…entdeckte einen Teich mit kristallklarem Wasser, auf deren im Sonnenlicht glitzernder Oberfläche herabgefallene Blüten sanft schaukelten.
Die Stunden vergingen und sie schrak zusammen, als ihr plötzlich siedendheiß einfiel, dass sie diese Welt doch eigentlich heute verlassen wollte, um sich neuen Forschungen zu widmen.
Eilig schritt sie zur Hütte…und wieder war der Obstteller aufgefüllt und frisches Trinkwasser stand bereit. Sie zuckte mit den Schultern…warum war sie nur so schnell gelaufen? Es bestand doch kein Grund zur Eile!
Morgen…nahm sie sich vor…morgen war auch noch ein Tag. Die Forschungen liefen nicht weg…
Am nächsten Morgen sammelte sie auf ihrem Spaziergang die herabgefallenen Blüten ein und beschäftigte sich stundenlang mit ihnen. Sie waren innen hart und außen samtweich. Sie dufteten fremd und man konnte sie pressen, zerteilen und mit dünnen Ästen vielerlei Dinge aus ihnen fertigen....
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Thora merkte nicht, wie die Zeit verging…und immer seltener begab sie sich in die Kammer, in der ihre Kleidung und ihre persönlichen Dinge lagen. I
mmer weniger dachte sie an die Freunde…an Sharie, die sie immer zum Lachen gebracht hatte…an Cathy, deren Lebensinhalt das Forschen war…an Andromeda, die resolute neue Forscherfreundin, die sie erst so kurz kannte und so schnell wieder aus den Augen verloren hatte. Sie alle waren weit fort und niemand von ihnen würde noch an sie denken. Bestimmt hatte man sie, Thora, längst vergessen.
Die Wochen zogen ins Land und Thora verlor jedes Zeitgefühl…
Es fehlte ihr an nichts…oder? Immer wurde sie von den unsichtbaren Unbekannten mit allem überreichlich versorgt. Also war sie glücklich…oder?
Sie vergaß die Namen der alten Freunde und irgendwann vergaß sie auch ihren eigenen Namen…denn niemand vermisste sie und niemand würde sie suchen oder jemals finden…
Doch manchmal geisterten Gesichter durch ihre Träume, die seltsam vertraut und doch so unendlich fremd waren. Thora wusste nicht, dass sie im Traum verzweifelt deren Namen rief…“warum hört ihr mich denn nicht….geht doch nicht so einfach fort…Andromedaaaaa… Sharieeee….so hört doch…“
Dann wachte sie schweißgebadet auf…und hatte die fremden Traumgesichter und deren Namen sogleich vergessen. Es war schön hier…niemand vermisste sie…hier lebte sie einfach…einen paradiesisch schönen…aber gefährlichen Traum…
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