Abschied von Ramsine
Ramsine schluckte angesichts der Zerstörung schwer. Ein trockenes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle und die Sehnsucht nach Claudius wurde fast übermächtig. Sie sehnte sich danach, einfach den Kopf an seine Schulter zu legen und seine Arme zu spüren, die sie fest umfingen, um sie zu beschützen und zu trösten.
Sie schloss die brennenden Augen, um die heißen Tränen vor den Freundinnen und Navret zu verbergen. Doch Menolly trat schon zu Ramsine, und legte in stummem Mitgefühl die Arme um deren Schultern.
„Es ist alles zu viel für sie…“ murmelte Sharie in plötzlicher Hilflosigkeit. Nachdenklich ruhte ihr Blick auf Ramsine…
„Ich glaube fast, es ist besser, wenn wir noch einmal zur Stadt zurückkehren, bevor wir versuchen, dem Kristall mit Navrets Hilfe zu seiner Bestimmung zu verhelfen..“ sinnierte sie.
Ihre Stimme wurde weich, als sie beobachtete, wie Ramsine mit fast trotziger Gebärde ihre Tränen trocknete.
„Und außerdem…“ legte sie nach…“sind wir für die gefahrvolle Mission, die wir nun vor uns haben, nicht unbedingt vollständig ausgerüstet und für alles gewappnet, was auf uns zukommt. Ganz besonders werden wir alle sehr starke Nerven benötigen…“ schloss sie mit einem Seitenblick auf Ramsine.
Sharie atmete tief ein, bevor sie entschlossen sagte…
„Ich werde deshalb mit Ramsine noch einmal zur Stadt zurückkehren. Wer kommt mit?“
Ramsine hob protestierend die Hand, doch die Stimme versagte ihr…
„Na, ich komme auch mit…“ erwiderte Menolly sofort und erntete einen unsicheren und zugleich fast dankbaren Blick von Ramsine.
„Aber ich kann doch auch allein…“ hob Ramsine wieder an…
„Nix da…allein…“ bemerkte Hitana. „Wozu sind wir ein Team…? Nach allem, was hier geschehen ist, sollten wir uns besser genau beraten, wie wir vorgehen wollen, damit wir so rasch wie möglich ohne Störungen ans Ziel kommen.“
Sie wandte sich an Navret, der sie mit unverhohlener Bewunderung ansah…
„Navret…du wirst sicher vorerst hier noch dringend benötigt und deinem Cousin helfen wollen, die Ordnung wieder einigermaßen herzustellen. Wir werden so rasch wie möglich zurückkehren…das versprechen wir dir…“
Navret schwieg eine Weile und seine Augen blieben an Ramsine hängen, die unruhig von einem zum anderen blickte. Dann nickte er zustimmend…
„Du hast mich überzeugt…Hitana. Ich erwarte euch bald zurück und dann werden wir gemeinsam handeln.“
„Na also…dann ist ja alles geregelt…“ atmete Sharie erleichtert auf. "Lasst uns zusammen bleiben und gemeinsam über Menollys Relto zur Stadt linken. Komm…Ramsinchen…“
-------------------------------------------------------------------------------------
Ramsine schwieg ergeben. Wieder einmal hatte Sharie resolut durchgegriffen und Ramsine wusste genau, dass die Freundin ihre geheimen Ängste und Befürchtungen erkannt hatte und nun auf ihre Art versuchte, ihr zu helfen. Denn in der jetzigen Verfassung war sie für die Freunde keine große Hilfe und für das bevorstehende gefährliche Unternehmen konnte das zum Problem werden.
Sie dachte an Tracy und fragte sich, ob sie die Freundin jemals wieder sehen würde. Dankbar glitt ihr Blick über die drei Frauen, die ihr in diesen fremden Welten so selbstverständlich und zwanglos ihre Freundschaft angeboten und ihr für die Suche nach Claudius jede nur erdenkliche Unterstützung zugesagt hatten.
Bei dem Gedanken an den geliebten Mann drohte die Verzweiflung sie wieder zu überwältigen…
„Claudius…“murmelte sie mit erstickter Stimme…“wo bist du nur…“
Menolly, Sharie und Hitana tauschten besorgte Blicke aus und allen war klar, dass Ramsine…die einstmals so hochmütig und verwöhnt aufgetretene Freundin - die sie alle in der bisher gemeinsam verbrachten Zeit so lieb gewonnen hatten – sich in einer ernsten Krise befand.
-------------------------------------------------------------------------------------
In der Stadt angekommen, begaben sie sich auf dem schnellsten Wege gemeinsam wieder zum Pub. Ramsine bedurfte dringend der Ruhe und die drei Frauen hofften, dass sie in den folgenden Tagen wieder in der Lage sein würde, sie bei ihrer gefährlichen Mission zu unterstützen.
Sharie stieß die Tür zur Herberge auf, schob die willenlose Ramsine fürsorglich über die Schwelle und aller Augen richteten sich auf die Ankömmlinge. Ein kleiner untersetzter Mann kniff überrascht die Augen zusammen…dann stieß er mit dem Ellenbogen seinen großen, schwarzhaarigen Begleiter an…
„Da…“ rief er…“das ist sie…sie nannte sich Ramsine…“
Bei der Nennung ihres Namens hob Ramsine müde den Kopf…
„Bartulos…?“ murmelte sie fragend. Bartulos…der sie mitgenommen hatte zu den D´ni und dem sie die Geschichte von ihrer Suche nach Claudius erzählt hatte Dann saugten sich ihre Blicke an Bartulos schlanken, dunkelhaarigen Begleiter fest, der sich fast zeitlupenhaft langsam umwandte und mit seinen hellen Augen Ramsines Gestalt umfing.
Ramsine taumelte und Sharie griff geistesgegenwärtig zu, um die Freundin zu stützen, die stumm den Fremden an Bartulos Seite ansah, der nun mit zögernden Schritten auf die wie erstarrt stehenden Frauen zukam. In dem gemütlichen Schankraum war es still geworden und aller Augen richteten sich auf die beiden Menschen, die sich mit atemloser Spannung entgegensahen.
„Claudius…“ hauchte Ramsine. Dann brach es laut aus ihr hinaus…“Claudius…“
„Ramsine…“ Er breitete die Arme aus und sie flog schluchzend und lachend auf ihn zu.
„Ramsine…mein geliebter Schatz…“ stammelte er unter Tränen. „Dass ich dich endlich wieder in meinen Armen halten darf…“
Übermütig wirbelte er sie herum…umfasste ihren Kopf zärtlich und bedeckte ihr Gesicht immer wieder mit kleinen Küssen. Er vergrub seine Hände in ihrem wundervollen Haar und sog jedes Detail der geliebten Frau in sich auf.
„Claudius…“ flüsterte Ramsine atemlos…“sag…warum bist du nie wieder gekommen…?“
Claudius schloss in schmerzhafter Erinnerung die Augen…
„Der Pelzhändler…Liebes…war keiner. Ich hatte es vermutet, aber zum Zeitpunkt meines Abschieds von dir nicht mit Sicherheit gewusst. Er war im Besitz meines Buches in die Heimat. Doch es gelang mir nicht, es von ihm zurück zu bekommen. Es kam zum Kampf…und ich musste flüchten…mein einziger Fluchtweg war das Buch, was ich jedoch zurück lassen musste.“
Ramsine hatte gespannt gelauscht und strich immer wieder liebevoll über sein Gesicht.
„Glaube mir…ich hatte keine andere Wahl…es war ein unbarmherziger Kampf und ich erkannte, dass Darung…so hieß der angebliche Pelzhändler…zuvor nicht in voller Tragweite erfasste, welchen Schatz er mit dem Buch in den Händen hielt. Ich habe ihm nicht alles gesagt…aber er wurde misstaurisch und dachte gar nicht daran, mir das Buch auszuhändigen. Der Preis, den er dafür wollte, war zu hoch. Ich versuchte es erst mit List…dann mit Gewalt…und verlor…“
Wieder schwieg Claudius und strich mit dem Daumen Ramsines Tränen fort.
„Sprich weiter…“ sagte sie sanft…
„Hier angekommen, wollte ich natürlich sogleich wieder zu dir zurück…denn ein Leben ohne dich ist für mich unvorstellbar. Doch das alte Buch war endgültig instabil geworden und auch meinem Vater gelang es nicht, es noch einmal zu restaurieren. Somit war mein Weg zu dir abgeschnitten und meine Verzweiflung kannte keine Grenzen.“
Die Erinnerung an die durchstandenen Qualen ließen Claudius leise aufstöhnen…
„Den Rest der Geschichte habe ich von Bartulos. Geldgierig, wie Darung war, verkaufte er das Buch zu einem horrenden Preis, der ihn reich machte, an Bartulos. Bartulos ist ein ehrlicher Händler, der in erster Linie an seine Geschäfte denkt und von den Hintergründen um dieses Buch keine Ahnung hatte. Ich habe Bartulos vor einigen Tagen kennen gelernt und ich vertraute ihm meine Geschichte an, worauf er sich an dich erinnerte, da du ihn doch hierher begleitet hast.“
-------------------------------------------------------------------------------------
Wieder drückte er Ramsine an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem dichten Haar.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen…“murmelte er mit leidenschaftlicher Stimme … „wie sehr ich hoffte – mein Glück – was ich schon für immer verloren glaubte, hier in meiner Heimat zu finden. Seit ich Bartulos gesprochen habe, irre ich durch die Stadt und suche dich. Und dabei musste ich heute erfahren, dass du dich mit Freunden hier aufgehalten hast und mit unbekanntem Ziel wieder abgereist bist.
Und nun halte ich dich wieder in den Armen…ich kann es noch gar nicht fassen …nie wieder soll uns etwas trennen…nie wieder…das verspreche ich dir, mein Liebes…“
Ramsine lächelte freudestrahlend und erwiderte…
„Und nie wieder machst du ohne mich eine Reise, Claudius. Wir gehören zusammen und…“
„Ramsine…“ sagte er drängend…“lass uns hier bleiben…hier in meiner Heimat. Hier ist dein Platz…und hier soll fortan auch deine Heimat sein. Es gibt eine Welt, die ein privater Schatz meiner Familie ist…eine Welt, wohin uns niemand folgen kann…zu der nur wir Zutritt haben. Sie ist paradiesisch schön…so, wie du es dir immer gewünscht hast. Weißt du noch, als wir damals immer davon träumten…“
Er lachte Ramsine zärtlich an und seine Augen leuchteten…
„…dort möchte ich mit dir leben…mein Liebes…was sagst du?“
„Ja…so soll es sein, Claudius…ich bin unendlich glücklich…“
„Dann komm…lass uns gehen…“
-------------------------------------------------------------------------------------
Wie aus einem Traum erwachend, sah sich Ramsine lächelnd um…
„Warte bitte…Claudius…meine Freundinnen…ich muss mich von ihnen verabschieden…“
Ramsine schritt langsam auf die drei Frauen zu, die stumm die ergreifende Wiedersehensfreude der beiden Liebenden beobachtet hatten.
„Hitana…ich danke dir für deine beispiellose Hilfe und deine Freundschaft, womit du mir meine ersten schweren Tage in der fremden Umgebung sehr erleichtert hast. Ich bin sehr froh, dass du mir begegnet bist…“
Sie umarmte die Freundin, die mit belegter Stimme erwiderte…
„Ich wünsche dir alles Glück der Welt…Ramsine…“
Dann wandte sich Ramsine Menolly zu, die ihre Tränen kaum zurückhalten konnte.
„Menolly“…lachte sie und umarmte sie fest… „bitte nicht weinen…dazu besteht kein Grund. Ich bin glücklich wie noch nie…und vergiss mich nicht ganz…“
„Ach du…“stammelte Menolly unter Tränen…“weiß ich doch…wie könnte ich dich vergessen…und bleib, wie du bist, Ramsinchen…es war so schön mit dir…“
Sharie stand wie versteinert. So sehr sie sich über Ramsines Glück freute, wusste sie doch in ihrem tiefsten Herzen, dass dies ein Abschied für immer war. Ramsine war ihr in der kurzen Zeit der gemeinsamen Forschungsreisen ans Herz gewachsen und aus der einstmals so hochmütigen und verwöhnten Freundin war eine mutige, selbstbewusste, fröhliche und glückstrahlende Frau geworden, die sie nie vergessen würde.
„Ramsinchen…komm…“ stumm lagen sich die beiden Frauen dann in den Armen. „Ich bin glücklich, weil du es auch bist. Ich habe immer gewusst, dass Claudius und du euch wieder findet. Genieße dein Glück und…ach, diesmal muss ich es dir sagen…nun weine mal nicht, Kleines... Bewahre uns alle im Herzen, dann sind wir immer bei dir…“
„Ja…Sharie…das hast du schön gesagt…so soll es sein…“
„Komm…Liebes…“ Claudius trat an die Seite der geliebten Frau und legte fürsorglich den Arm um ihre Schultern. „Es wird Zeit…wir müssen gehen…“
Ramsine sah lachend zu ihm auf…
„Ja…du hast recht…“
Dann schritten sie zur Tür, wo sich Ramsine noch einmal umwandte und den drei zurückbleibenden Freundinnen ein letztes Mal zuwinkte…
„Lebt wohl…Mädels…“
-------------------------------------------------------------------------------------
Als die Tür hinter Ramsine und Claudius ins Schloss gefallen war, schloss Sharie die Augen und umklammerte den kleinen Anhänger, den sie an einer schlichten Kette um den Hals trug. Unal…dachte sie sehnsüchtig…wie sehr wünsche ich mir…jetzt…in eben diesem Augenblick deine Stimme zu hören…
Das Bild des Freundes aus Kindertagen verblasste und Sharie sah vor ihrem geistigen Auge den sternenübersäten nächtlichen Wüstenhimmel, den sie in der Vergangenheit immer so bewundert hatte. War es die Wüste Nyruga?
Eine gleißend helle Sternschnuppe zog pfeilschnell über den glitzernden Sternenteppich und zerbarst fern am Horizont in einer flimmernden Kaskade…und jeder einzelne Funken barg tausend gute Wünsche in sich…
Sharie lächelte… „Leb wohl…Ramsinchen…“ flüsterte sie…
|