Yovashima
Nachdem sich der Nebel wie ein Vorhang geöffnet hatte, konnte ich auf eine wunderschöne Stadt herunter blicken. Weißer, verzierter Marmor, glitzernde Goldkuppeln, braune Lehmhäuser, niedrige Palmen, grüne Gärten und plätschernde Brunnen zeigten sich in ihrer vollen Pracht.
Als wir alle herunter gestiegen waren, konnte ich auch die Menschen genauer betrachten: Die Männer trugen alle Kaftans und Turbane, die Frauen lange Kleider und halb durchsichtige Schleier und die Kinder waren in einfache lange Hemden und etwas pludrige Hosen gekleidet. Viele schauten neugierig zu uns und als sie mich sahen, kamen sie näher und schauten wer ich war. Die Männer beachteten sie nicht weiter, sondern führten mich durch die erstaunte Menge, über die breite Hauptstraße zu einem großen Gebäude mit einer goldenen Hauptkuppel, zwei kleinen Türmen mit spitz zulaufenden Dächern, dass aus Marmor gebaut war und einen großen Eingang hatte. Durch den Eingang getreten befanden wir uns in einem großen Saal mit schwarzem Marmorfußboden, edlen Wandteppichen an den Wänden und hoch aufragenden Säulen in Form von Palmen. Unsere Schritte hallten durch den Raum, den wir durchquerten bis wir zu einem großen Goldthron am Ende kamen. Auf ihm saß ein älterer Mann mit einem Kaftan, der mit Goldfäden durchzogen war und einem Turban in dem eine große Feder und einige Edelsteine steckten. Er musste wohl so etwas wie ein Maharadscha sein. Langsam fragte ich mich, wo es hier in dieser Welt soviel Rohstoffe gab, dass man sie so sehr verschwenden konnte. Wir verbeugten uns alle und der ältere Mann aus dem Luftschiff redete mit dem Maharadscha, wobei ich nur ein Drittel verstand. Er sagte etwas „ich habe es doch gewusst...“ ...“kann unsere Sprache teilweise...“ und so weiter. Der Maharadscha nickte nur und sagte am Ende etwas und der ältere Mann nickte, wir verbeugten uns wieder und gingen. Der ältere Mann begleitete mich, während die anderen sich in verschiedene Richtungen zerstreuten, und brachte mich zu einem kleinen, aber schmuckvollen Lehmhäuschen in einer reicheren Wohnsiedlung. Wir traten ein und trafen drinnen auf die Frau und die Kinder des Hauses. Alle begrüßten den Mann fröhlich und schauten mich neugierig an. Er erklärte ihnen warum ich hier war und stellte uns gegenseitig vor. Er hieß Harlan, seine Frau Mutya und seine Kinder Eildon und Prianka. Danach ging er zu einem Bücherregal herüber, nahm ein dickes Buch heraus und reichte es ihr. „Lernen!“, sagte er nur und ich musste lächeln und nickte. Er zeigte auf einen Stuhl und ich setzte mich und begann zu lernen.
Bald war ich so versunken, dass mich alle anderen Geschehnisse nicht störten. Die Kinder spielten oder lernten, ließen mich aber in Ruhe, Harlan war gleich wieder gegangen, weil er zu seiner Arbeit zurück musste und Mutya kochte fleißig in der kleinen Nische. Zum Abendessen war Harlan dann wieder zurück, ich unterbrach meinen Schnellkurs und wir aßen gemeinsam. Es gab etwas, dass nach Lamm schmeckte und Goshbar hieß, eine Art Reis und verschiedene Arten von Gemüse. Es schmeckte alles großartig. Danach setzte sich Harlan zu mir und ließ mich mein bereits angeworbenes Wissen anzuwenden. Wir unterhielten uns so gut wie es möglich war und am Ende nickte er zufrieden und zeigte mir meine Schlafstatt. Es war ein einfaches aber bequemes Bett und ich schlief bald nachdem ich mich hingelegt hatte ein.
Es dauerte drei weitere Wochen bis ich die Sprache vollständig erlernt hatte, aber erst die täglichen Gespräche mit Harlan halfen mir, die Sprache auch gut anzuwenden. Jetzt sprach ich sie flüssig und wollte endlich genaueres über Harlan wissen. „Als Sie mich zu dem Sikhash (der Maharadscha) gebracht haben, verstand ich einen kleinen Teil vom dem was sie sagten, Harlan. Sie sagten etwas wie „ich habe es doch gewusst...“. Was meinten Sie damit?“ „Nun Hitana; ich gehöre zu den Wissenschaftlern in Cumor, der Hauptstadt des Reiches der Cumori. Seit Tausenden von Jahren beobachten wir schon die Sterne und richteten vieles nach ihnen aus. Die Lage des Palastes wurde auf diese Weise bestimmt und das Observatorium in dem ich arbeite wurde an einer Stelle gebaut, von der man einen idealen Blick auf den nächtlichen Himmel hat. Wir sind sehr glücklich darüber, dass nur selten Wolken den Blick versperren und der Himmel und die Stadt nachts so dunkel sind, dass man unglaublich viel sehen kann. Im Laufe der Zeit haben wir viel über die Sterne gelernt. Irgendwann bin ich nachts mit meinem eigenen Luftschiff losgeflogen und habe von dort aus die Sterne betrachtet. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie man sie wohl erreichen könnte und ob es irgendwo in diesem riesigen Universum auch menschliches Leben gibt. Diese Idee hat mich so sehr beschäftigt, dass ich den Firash um Geld gebeten habe, womit ich den Bau einer Maschine finanzieren konnte, die mich den Sternen näher brachte, aber er hielt die Suche nach weiterem menschlichen Leben für unsinnig und mein Traum blieb. Jahrelang habe ich Beweise für dieses menschliche Leben gesucht, aber nicht gefunden und niemand hat mir geglaubt, als ich gesagt habe, dass die Wahrscheinlichkeit für weiteres menschliches Leben größer ist, als gar kein weiteres. Denn warum sollten wir die Einzigen sein? Und dann kamen Sie, Hitana. Sie sind der Beweis!“
„Nun, es stimmt, dass ich aus einer anderen Welt komme, aber nicht aus diesem Universum. Sie haben sich doch sicher schon öfter gefragt, wie ich überhaupt hierher gekommen bin, nicht Harlan? Sie haben sich sicher ein Luftschiff wie das Ihre vorgestellt, nur schneller. Aber ich bin auf eine viel erstaunlichere Weise hierher gekommen: Ich beherrsche eine spezielle Kunst, durch die man eine Verbindung zu Welten erreichen kann, die ich erreichen kann indem ich eine Welt in einem speziellen Buch beschreibe und eine höhere Macht baut eine Verbindung zu einer bereits existierenden Welt auf, die der Beschreibung ähnelt. Diese Bücher haben ein Fenster und wenn ich einen Teil meines Körper darauf lege, dann verbinde ich mich mit dieser Welt.“
„Haben Sie ein solches Buch dabei?“ „Oh ja, hier das ist das Buch, dass mich zu meinem Zuhause bringt.“
Ich zeigte ihm mein Reltobuch, öffnete es und zeigte ihm das Fenster. Lange Zeit beobachtete er wie in dem Fenster die Insel gezeigt wurde und gab es mir dann wieder. „Ich wusste, dass viele seltsame und geheimnisvolle Dinge gibt, aber das ist das Seltsamste was ich je gesehen habe!“ Ich lächelte und nickte.
„Sie erwähnten weitere Städte.“ „Ja sie befinden sich auf anderen großen Inseln wie dieser. Fast jede Insel besitzt Rohstoffe, die wir brauchen und so haben sich aus einfachen Gehöften schon ein paar Kleinstädte gebildet. Zum Glück hat mein Großvater vor vielen hundert Jahren die Luftschiffe erfunden, sonst wären wir aufgeschmissen gewesen. Es gibt übrigens nicht nur Forschungsschiffe, sondern auch Reise- und Transportschiffe. Manchmal wollen die Menschen gerne eine Nacht unter dem Sternenhimmel auf einer einsamen Insel verbringen oder ihre Verwandten in den anderen Städten besuchen.“
„Gibt es hier Regen?“ „Ja, sonst wäre es niemals so grün und es gäbe auch kein Trinkwasser. Sie werden es nicht glauben, aber es reget mindestens einmal die Woche. Jetzt ist gerade Trockenzeit.“ „Wie kommen die Wolken nach oben?“ „Tja, das wissen wir auch nicht so genau. Wir haben es nie gewagt durch die Wolkendecke zu fliegen und vielleicht kann man das auch gar nicht; aber wir vermuten das die Wolken von unten einen Auftrieb bekommen, sich teilweise schon dort unten und teilweise weiter oben mit Wasser vollsaugen und es dann hier herabregnen lassen. Es ist ein faszinierendes meteorologisches Phänomen, dass wir immer noch nicht ganz verstehen. Bald werden auch Sie es beobachten können.“ „Wissen Sie wie viele Inseln es gibt?“
„Oh ja. Wir haben lange Zeit dafür gebraucht sie alle zu finden. Wir haben über zweihundert gezählt. Davon sind drei stark und sieben dünn besiedelt. Alle anderen sind so gut wie unerschlossen. Wir haben nur nach Nahrungs-, Mineralien-, Edelstein- und Holzquellen gesucht und auf manchen Minen oder Gehöfte bauen lassen, aber dort wohnen meist nur die Arbeiter mit ihren Familien. Sie müssen teilweise recht oft zu anderen Inseln fliegen, um bestimmte Dinge zu kriegen. In jeder größeren Siedlung gibt es einen Markt und keine von diesen Inseln ist mehr als einen Tagesflug entfernt. Jeder der es lernt kann mit den Flugschiffen umgehen.“
„Ich möchte gerne noch etwas über eure Kultur wissen!“
„Wir werden von dem Sikhash regiert, dem einige Berater zur Seite stehen. Wir glauben an viele Götter, deren Bilder wir in bestimmten Sternenkonstellationen sehen konnten und daher auch nach ihnen benannt haben. Wir sind aber nicht so strenggläubig, dass es den Fortschritt unserer Zivilisation aufhalten könnte.
Wir machen gerne Musik und sind stets mit der Verzierung unserer Umgebung beschäftigt. Viele lieben die Gartenarbeit, die Malerei und die Frauen sticken sehr gerne Wandteppiche. Wir lesen gerne Bücher und schreiben auch gerne. Unsere Schrift ist wird auch als Verzierung benutzt. Wir mögen das Gold und den Marmor. Wir lieben unsere Götter für ihre Güte und den Wohlstand, welchen sie uns schenken. Darum haben wir ihre Tempel besonders groß und hoch gebaut und wunderschön eingerichtet. Die Frauen bleiben bei uns zu Hause und kümmern sich um die Kinder und die Männer arbeiten. Es gibt untere, mittlere und obere Klassen, aber keine Kämpfe zwischen ihnen. Jeder duldet das Los, welches ihm das Schicksal beschert. Aus seinem Stand austreten ist verpönt. Heiraten werden zwischen den Eltern der beiden Familien vereinbart und die Kinder nehmen die Entscheidung hin. Im Laufe der Jahre lernen die Menschen sich zu lieben, vor allem wenn sie Kinder kriegen. Die Frauen müssen ihre Körper verhüllen, damit sie nicht die Blicke fremder Männer auf sich lenken. Der Mann ist die herrschende Gewalt in unserer Gesellschaft. Reicht das fürs Erste?“ „Das ist aber eine sehr strenge Gesellschaft!“ „Nein es ist eine traditionelle Gesellschaft. Und wir lieben unsere Traditionen und werden sie nicht ändern.“ „Ich hatte auch nicht vor euch zu verändern. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass es in der Welt in der ich geboren wurde, ein Volk gibt das dem euren so sehr ähnelt, dass ich sogar eure Sprache schon zu Anfang einigermaßen verstehen konnte. Dieses Volk war ebenfalls sehr stolz auf seine Traditionen, aber sie waren so festgefahren das viele Dinge für sie schwierig waren, aber einfacherer geworden sind, seitdem die Großstädte andere Ansichten akzeptiert haben, doch die Dörfer sind noch auf einem sehr unterentwickelten Stand wegen seiner strikten Regeln. Möglicherweise habt ihr einen Weg gefunden, fortzuschreiten und doch traditionell zu bleiben, aber vielleicht werden euch die Traditionen eines Tages den Weg versperren. Außerdem müssen Sie zugeben, dass sie auch ein wenig die Traditionen brechen wollten, als sie den Sikhash darum gebeten haben, ihnen Geld für die Verwirklichung ihres Weltraumreiseprojekts zu geben. Denn dies hätte eine starke Modernisierung mit sich gebracht, und was wäre passiert, wenn Sie wirklich fremdes Leben gefunden hätten? Vielleicht hätten andere die Inseln erobert, euch unterworfen und euch neue Regeln aufgezwungen und das alles nur weil ein Mann mehr wissen wollte, als für eine traditionelle Gesellschaft gut war. Ich will nicht Ihre Meinung ändern; ich möchte sie nur darauf hinweisen das Traditionen manchmal ein Klotz am Bein sein können, aber das man auch bei einem Bruch der Tradition einen Fehler machen kann.“
Harlan nickte etwas grimmig und den Rest des Tages schwiegen wir.
_________________ Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet
Hitana Mikoyan (SL) , Hitana Jadurian (GW)
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