2. Welt Jaseri
Ich sitze seit einigen Tagen wieder in meinem bescheidenen Heim und arbeite an meiner neuen Welt, die "Jaseri" heißen soll. Ich rufe mir die Lektionen der Gilde der Schreiber zurück ins Gedächtnis, um alles richtig zu machen. Wie sagte Atrus doch so oft: "Die Kunst ist eine Wissenschaft." Man muss auf jedes kleine Detail achten, damit die Stabilität der Welt garantiert ist. Man betrachtet zuerst die Welt im Ganzen. Wie nah steht die Sonne? Wie sieht der Umlauf um die Sonne aus? Besitzt die Welt einen Mond und wenn, wie nah steht er? Wie ist die Welt gesteinlich zusammengesetzt? Es gibt soviele Dinge, die wichtig sind, dass einem diese Arbeit wirklich Kopfschmerzen bereiten kann. Man darf sich nicht beeilen, weil man sonst etwas falsch machen könnte. Alles muss zusammen passen, sonst entstehen solche Welten, wie die von Gehn. Ich möchte keine Welt in die Verdammnis schicken, erst recht keine bewohnte. Darum werde ich mich gedulden und hart arbeiten.
Ich schlafe, esse, schreibe, denke nach und schlafe. Ich treibe mich selbst immer wieder an weiter zu machen. Ich bin ständig erschöpft und muss aufpassen, dass ich nicht meine Konzentration verliere und Fehler mache. Andererseits fällt es mir schwer Pausen zu machen, weil ich ein enormes Verlangen habe, endlich auf dem Wüstensand "Jaseri´s" zu stehen. Ich medietiere eine Weile, um wieder zur Ruhe zu kommen, dann schreibe ich weiter.
Ich schließe das Buch mit einem erleichterten Seufzer. Endlich habe ich das Buch fertiggestellt! Ich kann "Jaseri" heute nicht mehr betreten, ich bin einfach zu müde. Ich falle erschöpft auf mein Bett und schlafe sofort ein. Ich schlief tief und fest und erwachte gut ausgeruht am nächsten Tag. Es war bereits später Vormittag. Ich packte meine Sachen, trat zu dem Tisch mit dem Buch darauf zu, öffnete es und verband mich mit meiner neuen Welt...
Ich stehe auf weichem, feinem Wüstensand. Ein leichter Wind lässt meinen Mantel flattern. Ich spüre die Hitze-heiß aber nicht zu sehr. Ich hole ein großes Tuch aus meinem Rucksack und wickle mir eine Art Turban um den Kopf, wobei ich auch meine Nase und den Mund bedecke. Außerdem setze ich eine feste Brille auf, die mich vor dem Sand und der Sonne schützt. Mitten in der unendlich scheinenden Wüste steht ein Felsen mit einer verborgenen Nische. Hier lege ich mein Verbindungsbuch ab. Ich hole mein Journal heraus und beginne die Karte zu zeichnen und Notizen zu machen. Dann ziehe ich in Richtung Norden los. Mit meinen kräftigen Stiefeln komme ich gut durch den Sand und schon bald kann ich in der Ferne die erste Oase erkennen. Sie ist nur klein, aber das bisschen Wasser, dass sie enthält wird mir das Überleben hier sichern. Ein paar kleinere Bäume stehen um das Wasser herum und ein wenig grünes Gras wächst hier. Sogar einige Büsche mit Früchten finde ich. Ich stecke einige davon ein und gehe dann weiter. Der Tag geht langsam zur Neige und ich ruhe mich ein wenig aus. Am Horizont kann ich ein wunderschönes Schauspiel erleben: Wenn die Sonne untergeht entstehen unglaublich schöne Farbumschläge. Von gelb nach orange, von orange nach rot, von rot nach rosa und sogar ein leichtes lila, dass wohl durch die aufkommende dunkelblaue Dunkelheit zustande kommt. Ich lege mich mitten in der Wüste nieder und beobachte noch eine Weile, wie ein wenig Leben in die sonst so leblose Wüste kommt. Käfer und Amphibien kriechen aus ihren Verstecken unter Steinen und aus dem Sand hervor und gehen auf ihre Beutezüge. Ich brauche mich vor ihnen nicht zu fürchten, da sie instinktiv einen großen Bogen um mich machen.
Ich stehe am nächsten Tag früh auf um die Kühle des Morgens zu genießen und setze meinen Weg fort. Diese Welt ist groß und ich werde wohl eine ganze Weile brauchen, sie zu erforschen, aber ich tue es mit großer Freude.
Ich bin im Westen auf den Ozean gestoßen. Der Strand ist wunderschön mit seinem feinen Sand und das Wasser ist wunderbar klar. Ich konnte es mir nicht verkneifen eine Weile schwimmen zu gehen und genoss es sehr, obwohl das Wasser etwas kalt war. Im klaren Wasser konnte ich Schwärme von kleineren und größeren Fischen entdecken, die schnell wegschwammen, als ich in ihre Nähe kam. Ihre Leiber glänzten in allen Farben des Regenbogens. Es gab auch einige rochenartige Fische, die so groß wie eine Hand waren.
Nach dem erfrischenden Bad ließ ich mich von der Sonne trocknen, zog mich an und ging weiter. Im Norden wurde das Gelände etwas karger und unwegsamer. Es war eine felsige Landschaft mit kleinen ausgetrockneten Grasbüscheln. Doch genau zwischen den großen Felsen fand ich die zweite Oase. Hier wuchsen direkt neben den unförmigen Felsen grüne Büsche und kleine Bäume. Das Wasser schimmerte in Azurblau und ich nahm mir gleich etwas davon für meinen Beutel. Ich setzte ich auf einen Felsen, ass ein bisschen und beobachtete die Gegend. Am Himmel erkannte ich einige Vögel, die sehr laut schrien. Sie hatten ziemlich große Schwingen und sahen wie Greifvögel aus.
Ich beschloss heute nicht mehr weiter zu gehen und hier zu übernachten. Auch hier konnte ich beobachten, wie die Tiere aus ihren Verstecken kamen, vom Wasser tranken und nach Futter suchten. Hier gab es sogar ein rattenartiges Wesen, dass leise fiepende Töne von sich gab und von den Früchten des Busches ass, welche ich eingesteckt hatte.
Am nächsten Tag setzte ich meine Wanderschaft Richtung Osten fort und entdeckte nach einigen Stunden interessante Spuren. Hier gab es eine größere, aber inzwischen vertrocknete Oase. Ich entdeckte Spuren einer Zivilisation, wie leicht verscharrte Feuerstellen, zerbrochene Krüge und andere Gegenstände. Die Menschen waren wohl hier fortgezogen, als die Oase vertrocknet war. Wer weiß wo sie jetzt waren? Ich ging weiter, im Bestreben diese Menschen zu finden...
Schon am nächsten Morgen fand ich Richtung Osten weitere Anzeichen des unbekannten Volkes. Dann, ein paar Stunden später, erblickte ich in der Ferne die ersten Anzeichen einer großen Oase. Viele Bäume, viel Grün und außerdem eine Zeltstadt von großen Ausmaßen. Dies musste das Volk sein! Ich ging weiter, näherte mich der Stadt aber mit Vorsicht. Ich wusste ja noch nicht, ob sie friedlich waren. Sie schienen jedoch irgendwo einen Beobachtungsposten zu haben, denn plötzlich kam Bewegung in die Stadt. Ich sah einen Trupp von etwa sechs Männern näher kommen, die lange ockerfarbene Gewänder trugen und ihre Gesichter ebenso wie ich verhüllt hatten. Ich blieb stehen und wartete bis sie bei mir angekommen waren. Sie bildeten einen Kreis um mich und senkten ihre Hände zu den leicht gebogenen Schwerten, die sie trugen. Ihre zu Schlitzen verengten Augen musterten mich von bis unten voller Misstrauen. Ich blieb ruhig stehen und wartete bis sie mit mir reden würden. Einer von ihnen, der etwas größer als die anderen war, trat einen Schritt auf mich zu und sagte dann mit rauer Stimme und einem straken Akzent:"Nennt mir Euren Namen und den Grund für Euer Hiersein!" Ich war ein wenig erstaunt, wieder einen Mensch zu treffen, der meine Sprache sprach, aber inzwischen wunderte mich nur noch weniges. "Mein Name ist Hitana und ich bin eine Forscherin aus einem fernen Land", sagte ich ruhig. "Wo soll dieses Land liegen, Weib?! Wir kennen kein anderes Land als dieses!" "Es ist weit von hier im Meer gelegen." "Ich weiß nicht, ob ich euch dies glauben soll, aber Eure Forschung wird vorerst beendet. Ihr werdet jetzt mit uns kommen und wir werden euch zu unserem Anführer bringen." Ich nickte nur und wurde dann von ihnen in ihre Stadt geführt. Ich kam an den großen Zelten vorbei, in die wohl durchaus eine mittelgroße Familie gepasst hätte. Die Zelte waren aus hellem Leder und teilweise geschmückt. Hier am Rande der Stadt waren die Zelte nur mit den Namen der Familien beschrieben, aber je weiter ich in die Stadt kam, desto prächtiger waren die Zelte gescmückt. Die Ornamente hier strahlten in hellen, schönen Farben. Die sechs Männer führten mich zu einem Platz mit einem Springbrunnen in der Mitte. Auf der anderen Seite des Platzes stand ein Zelt von der Größe eines einstöckigen Hauses, dass über und über mit Ornamenten bedeckt war. In dieses Zelt wurde ich nun hinein geführt. Die Größe, die schon außen beeindruckend gewesen war, beeindruckte mich innen noch mehr. Ich stand in einem Raum, der an eine große Halle erinnerte und von dem sich viele Gänge abzweigten. Am anderen Ende der Halle stand ein Thron auf dem ein Mann saß, der ein weinrotes Gewand anhatte und einen dunkelblauen Turban trug. Dies musste wohl der Anführer sein. Sie führten mich vor ihn und der große Kerl, der mich vorher angesprochen hatte, legte eine Hand auf meine Schulter und drückte mich hinunter auf die Kniee. Dann knieten auch er und seine Mannen nieder. Der Anführer machte eine kurze Handbewegung und die sechs Männer standen wieder auf. Der große Kerl legte wieder seine Hand auf meine Schulter und ich blieb so wie ich war. Ich wusste, dass ich hier vorsichtig sein musste und darum gab ich mich so demütig, wie möglich. "Wir haben diese Frau an den Außenposten unserer Stadt gefunden und aufgehalten. Ihr Name ist Hitana und sie ist eine Forscherin aus einem fernen Land. So sagte sie es uns jedenfalls,"berichtete der große Kerl. "Ihr habt gut entschieden, sie zu mir zu bringen, Groden. Ihr könnt Euch nun entfernen. Ich werde mit der Fremden alleine weiterreden,"sagte der Anführer. Groden ließ endlich von meiner Schulter ab und verbeugte sich leicht. Dann verließen er und seine Mannen rückwärts gehend den Raum, da sie ihrem Herrscher nicht den Rücken kehren durften.
"Nun, werte Hitana, es tut mir leid, dass wir Euch so behandeln mussten, aber wir befinden uns stets in Gefahr vor unseren Feinden und müssen daher Vorsicht walten lassen." Er rief kurz nach einem Diener und ließ ihn einen Stuhl bringen. "Setzt Euch doch bitte. Wir haben viel zu besprechen.
Mein Name ist Jerodan und ich bin der Anführer hier, wie Ihr euch sicher schon gedacht habt. Diese Stadt heißt Hurdani. Wir leben schon seit vielen Jahren hier, aber eigentlich kommen wir aus einer kleineren Oase, an der Ihr schon vorbeigekommen sein müsstet. Vor vielen Jahrzehnten gehörten unsere Ahnen dem Stamm der Hurdan an und lebten wie Normaden. Zu dieser Zeit war das Land noch äußerst fruchtbar und so konnten sie viel jagen gehen. Das Leder, aus denen unsere Zelte bestehen, stammt noch aus dieser Zeit. Sie wurden von Generation zu Generation vererbt. Früher waren die Familien größer, darum sind die Zelte auch so groß, aber heute dürfen die Familien nur noch zwei Kinder haben, da wir sie sonst nirgendwo unterbringen könnten. Wir könnten natürlich auch Häuser bauen, aber wir wollen nicht die wenigen Dinge verschwenden, die uns geblieben sind und außerdem ist dieses Leben eine Art Gedenken an die Ahnen. Es ist unsere Tradition. Aber ich schweife ab.
Eines Tages, so sagen die Legenden, fiel ein leuchtender, großer Stein vom Himmel und danach war nichts mehr wie vorher. Das fruchtbare Land vertrocknete immer mehr, bis nur noch die Oasen übrigblieben. Von dieser Zeit an suchten sie nach einem festen Platz, wo sie bleiben konnten und siedelten sich in der kleineren Oase an. Doch sie vertrocknete und sie mussten weitergehen. Dann fanden sie dieses kleine Paradies und hier blieben sie. Am heutigen Tage können wir auf eine blühende, gut versorgte Gesellschaft blicken. Dennoch gibt es schlechte Dinge hier. Ich erwähnte bereits, dass wir in steter Wachsamkeit sein müssen. Dies lässt sich damit erklären, dass wir Feinde haben, die einst unserem Stamm angehörten. Sie wurden allerdings Verräter an unserer Gesellschaft und aus diesem Grunde verbannt. Sie haben sich zu einem eigenen Stamm formiert und bilden jetzt eine Terrorzelle. Wir werden immer wieder von ihnen angegriffen und ihr Hass ist sehr groß auf uns. Wir versuchen schon seit längerer Zeit sie zu zerschlagen, aber sie sind sehr stark. Ich glaube allerdings, dass wir jetzt die Möglichkeit haben sie endlich zu zerschlagen!“ Ich schaute etwas erstaunt auf und sprach ihn zum ersten Mal direkt an: „Warum dies, Jerodan?“ „Nun, ich sehe, dass Ihr Dinge mit euch tragt, die ich noch nie gesehen habe. Ihr müsst aus einem Land mit einer hoch entwickelten Zivilisation kommen. Dort gibt es doch sicher Möglichkeiten, die uns helfen können, gegen unsere Feinde vorzugehen“, erklärte er. Ich sah ihn entsetzt an. Dieser Mann wollte Waffen und andere Zerstörungswaffen von mir haben! Ich schluckte und fragte: „Zwingt Ihr mich dazu, dies für euch zu tun oder darf ich selbst entscheiden, was ich tue?“ Er sah mich mit zu Schlitzen verengten Augen an und sagte: „Ich zwinge euch zu nichts, aber ich sehe auch keinen Grund, warum Ihr es nicht tun solltet.“ Langsam geriet ich ins Schwitzen. Was durfte ich diesem Mann gegenüber wagen? Ich leckte mir über die Lippen und sagte: „Ich will euch nicht unterstellen, dass Ihr lügt, was eure Feinde betrifft. Dennoch sträube ich mich dagegen zu tun, was Ihr von mir verlangt. Ich entscheide gewohnheitsgemäß erst, wenn ich beide Seiten gesehen und beide Meinungen gehört habe.“ Er sah mich nachdenklich an und seufzte dann. „Nun, ich verstehe eurer Argument, auch wenn ich es nicht gerade gutheiße. Ich kann euch nur davor warnen, diesem Volk gegenüber zu treten. Ihr Hass hat sie zu Barbaren gemacht. Vielleicht solltet Ihr noch einmal in aller Ruhe über eure Entscheidung nachdenken. Ich gebe euch bis zum Abendmahl die Zeit euch frei durch meine Stadt zu bewegen und euch alles anzusehen. Ihr werdet heute Abend mit mir speisen und mir dann eure Entscheidung mitteilen. Ich werde sie akzeptieren, egal wie sie ausfällt. Über die Nacht seid Ihr Gast in meinem Zelt, einverstanden?“ Ich atmete tief durch und nickte dann. Er nickte ebenfalls und klatschte dann wieder in die Hände. Ein Diener erschien und er winkte ihn zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Diener eilte davon und Jerodan wandte sich wieder mir zu. „Einer meiner Männer wird euch durch die Stadt führen, aber bevor Ihr geht möchte ich euch noch einem Mann vorstellen, dem wir hier vieles zu verdanken haben.“ Bei diesen Worten öffnete sich eine Tür und ein kleiner Mann in einem schwarzen, fließenden Gewand trat ein. Seine unheimliche Erscheinung ließ ihn irgendwie größer erscheinen und als er nah genug bei uns war, konnte ich ihn genauer betrachten. Er hatte langes gewelltes, graues Haar, ein vom Alter gezeichnetes Gesicht und funkelnd blaue Augen. Um den Hals trug er ein seltsames Amulett mit geheimnisvollen Zeichen darauf. Für einen Wüstenbewohner war er ungewöhnlich bleich, aber er passte auch sonst überhaupt nicht in das typische Erscheinungsbild dieses Volkes. „Dies ist Vannay, unser Seher“, sagte Jerodan. Vannay sah mich mit durchdringendem Blick an und deutete ein Kopfnicken an. Ich sah ihn misstrauisch an. Etwas an der art dieses Mannes gefiel mir ganz und gar nicht. Auch Jerodan war beim Erscheinen Vannays sehr seltsam geworden. Er sah den Seher mit Ehrfurcht an und wirkte sehr von ihm eingenommen als er mir jetzt berichtete, was Vannay dank seiner Künste schon fertiggebracht hatte. Besonders stark betonte er, dass es Vannay gewesen war, der die Verräter entlarvt hatte. Er war außerdem stets dabei, dieses Volk zu einem großen, mächtigen Volk zu machen. Die ganze Sache gefiel mir immer weniger. Jerodan redete und redete und Vannay sah mich die ganze Zeit mit seinen funkelnden Augen an. Dann plötzlich hob er die Hand, worauf Jerodan augenblicklich aufhörte. „Das reicht, Jerodan. Ich denke unser Gast möchte sich jetzt die Stadt ansehen“, sagte Vannay mit einer seltsamen, wispernden Stimme. Jerodan nickte nur und klatschte wieder in die Hände. Während wir auf meinen Führer warteten, sagte Vannay: „Ich ziehe mich jetzt zurück, wenn Ihr erlaubt“ und ging durch dieselbe Tür wie vorher davon. Ich war froh ihn los zu sein, weil er ziemlich unheimlich war und freute mich als mein Führer kam und ich endlich die Stadt anschauen konnte.
Als ich nach draußen trat, war es als ob eine schwere Last von mir genommen worden war. Erst jetzt merkte ich wie dunkel es in dem Zelt gewesen war. Ich atmete tief durch und gab meinem Führer das Zeichen zum Aufbruch. In den nächsten Stunden sah ich viele interessante Dinge. Die Stadt war in verschiedene Bezirke eingeteilt, die alle verschieden waren und spezielle Werkstätten aufwiesen. Da gab es einen Bezirk für die Schmiede, die Künstler, die Wachen, die Händler, die Weber und viele andere. Wir kamen an Vannays Zelt vorbei, durchstreiften den Marktplatz, der nach orientalischen Dingen roch und ein unglaubliches Angebot hatte. Prächtige, äußerst schmackhaft aussehende Früchte, Geflügel, Gewürze, Stoffe und Haushaltsbedarf. Ich fragte meinen Führer wo die Früchte angebaut wurden und er führte mich zu den im Süden der Oase gelegenen Feldern und Plantagen. Auf den Feldern standen die Bauern bei der Ernte oder schleppten Körbe voller Früchte, Gewürze oder Hanfpflanzen zu den runden Silos am Rande der Felder. Hinter den Silos standen die ärmlichen Behausungen der Bauern. Auf einem eingezäunten Teil wurden Vögel gehalten, die wie Perlhühner aussahen. Ich sah wie die Bauern sich plagten und musste daran denken, wie sich die Reichen der Stadt die Bäuche vollschlugen ohne auch nur einen Gedanken an diese Menschen zu verschwenden. In jeder höher entwickelten Gesellschaft schien es Menschen zu geben, die weniger hatten und in gewissem Maße auch leiden mussten. Dies war nicht gerecht. Da ich von diesem Volk keine Bestrafung zu befürchten hatte, fragte ich meinen Führer, warum diese Menschen so sehr leiden mussten. Er sah mich erstaunt an und sagte dann: „Sie leiden nicht, Herrin. Sie wissen, dass sie damit den Aufstieg ihres Stammes zu einer großen Macht fördern.“ „Und was haben diese Bauern davon?“ „Auch sie werden eines Tages besser leben. Sie müssen sich nur ein wenig länger gedulden. Außerdem ist es eine große Ehre für sie zu wissen, dass sie ihren Anteil an diesem Aufstieg hatten. Schließlich kann nur dann eine große Zivilisation entstehen, wenn sie eine gute Agrarkultur besitzt.“ „Aber sie werden nie den Stand der Reichen erreichen, habe ich Recht?“ „Natürlich nicht! Aber sie sind es auch nicht wert so weit aufzusteigen. Nur die besten, reinsten Familien haben dieses Privileg.“ Ich starrte nachdenklich vor mich hin. Die Dinge waren schlimmer, als ich gedacht hatte. Diese Gesellschaft war auf dem Weg sich in eine Diktatur der Reichen zu verwandeln! Und all dies war das Werk von Vannay, einem verblendeten Mann, der glaubte, dass die einzig gute Gesellschaft eine autoritäre sei. Er hatte durch irgendwelche dunklen Künste erreicht, dass alle ihn verehrten, auf ihn hörten und seine Pläne umsetzten. Als krönenden Abschluss würde er sich wahrscheinlich selbst zum Anführer erklären, indem er Jerodan befahl zurückzutreten, was dieser ohne Widerrede auch tun würde. Wahrscheinlich hatten die Verräter nie einen Verrat begangen. Ich sah mich mit trüben Gedanken im Kopf um. Dies konnte und durfte nicht so weiter gehen. Ich musste eingreifen, auch wenn ich mich damit in Gefahr begab. Mein Führer berührte mich am Arm und sagte das es Zeit wäre zurückzukehren. Ich wollte nicht länger bleiben, aber ich musste. Ich konnte nur hoffen, dass Vannay nicht an dem Essen heute Abend teilnahm.
„Willkommen zurück, Hitana! Das Essen ist bereits aufgetischt. Ich hoffe Ihr hattet einen interessanten Ausflug. Kommt, setzt euch“, sagte Jerodan einladend. Wir setzten uns und Jerodan begann sich mit den Leckereien vollzuschlagen. Ich aß nur wenig; nach dem was ich heute gesehen und erfahren hatte, war mir der Appetit vergangen. Jerodan bemerkte dies zum Glück nicht und sprach erst wieder mit mir, als alles abgeräumt war. „Nun, nachdem Ihr Zeit zum Überlegen hattet, wie sieht eure Entscheidung aus?“ „Sie hat sich nicht geändert, Jerodan. Ich werde in keinen Krieg ziehen bevor ich nicht beide Seiten kenne.“ „Nun, so sei es. Ihr könnt morgen früh aufbrechen, wenn Ihr wollt. Den Weg zu den Verrätern müsst Ihr allerdings selbst finden. Ihr seid nun sicher müde, daher schlage ich vor Ihr geht jetzt zu Bett.“ Ein Diener brachte mich zu meinem Schlafgemach, in dem ein riesiges Himmelbett stand. Ich war froh, dass Jerodan mich nicht lange aufgehalten hatte und ich nun endlich schlafen gehen konnte. Ich schlief mit düsteren Gedanken im Kopf ein und erwachte mit einem ebenso düsteren Gemüt am nächsten Morgen. Das angebotene Frühstück von Jerodan schlang ich schnell herunter, dann packte ich meine Sachen und verabschiedete mich schnell. Wieder war es wie eine Befreiung aus dem Zelt zu kommen. Ich wanderte in Richtung Südosten weiter, da dies die einzige bisher unbekannte Gegend war. Nach zwei Tagen kam ich in ein Gelände mit vielen Dünen, die mal höher, mal niedriger waren. Das Vorankommen wurde mir dadurch etwas erschwert. Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, aber als ich den Kopf in diese Richtung drehte, war niemand zu sehen. Wirkte sich die Hitze doch schlecht auf mich aus? Bekam ich schon Halluzinationen, obwohl ich mich nicht unwohl fühlte? Plötzlich spürte ich einen schmerzenden Stich am Hals. Ich fasste mir erstaunt an die Stelle und griff nach einem Pfeil, doch bevor ich ihn herausziehen konnte, begann der Stoff bereits zu wirken und mir wurde schwarz vor den Augen...
Als ich wieder aufwachte, befand ich mich in der Dunkelheit eines Zeltes, dass genau wie die Huranizelte aussah. Neben meinem Lager saß auf einem kleinen Hocker eine junge Frau, die vollständig in ein blassgelbes Gewand gehüllt war. Als sie sah, dass ich wach war, drehte sie sich um und rief nach jemandem den ich nicht sehen konnte. Einen Augenblick später kam ein Mann in derselben Kleidung an mein Lager und schaute mich ernst und ein wenig misstrauisch an. Dann nickte er der Frau zu und ging wieder. Die Frau lächelte mich vorsichtig an und sagte dann: „Steht auf Fremde, mein Mann Dronath möchte mit euch sprechen.“ Ich tat dies und sie führte mich zu einem anderen Teil des Zeltes. Dronath wartete dort auf einem Hocker sitzend. Er wies auf den Hocker vor sich und nickte dann wieder seiner Frau zu, die sich daraufhin entfernte. Dronath räusperte sich und sagte dann: „Ihr befindet euch im Gewahrsam des Shohanstammes. Mein Name ist Dronath und ich bin der Anführer hier. Ich habe veranlasst, dass man euch betäubt und zu mir bringt. Ihr kommt von den Hurani, habe ich Recht?“ „Ja, aber“ – „Das dachte ich mir. Sind die Hurani tatsächlich so dumm zu glauben, sie könnten einen Spion schicken, ohne das wir es merken, um so etwas über unser Vorhaben zu erfahren?“ „Ich bin keine Spionin! Ich gehöre noch nicht einmal den Hurani an. Hört mich an, ich bitte euch!“ „Also gut, redet!“ Und so erzählte ich ihm alles, was ich konnte. Als ich fertig war, sehr er mich grübelnd an und sagte dann: „Ich glaube euch und ich bin sehr froh darüber, dass Ihr euch so entschieden habt. Vannay ist tatsächlich ein verblendeter Mann, der unseren einstigen Stamm durch seine Zungenfertigkeit dazu gebracht hat seine Pläne zu verwirklichen. Meine Kameraden und ich durchschauten sein falsches Spiel und versuchten Jerodan klarzumachen, was Vannay vorhatte. Wir waren ihm ein Dorn im Auge, denn wir konnten ihm als einzige gefährlich werden. Darum hat er uns zu Verrätern erklärt und wir wurden verstoßen. Wir haben uns hier neu gruppiert und wollen mit allen Mitteln gegen Vannay vorgehen. Wir können nur hoffen, dass nach seiner Beseitigung der Zauber von unserem Stamm abfällt und sie die Wahrheit erkennen.“ „Ihr wollt ihn also umbringen, habe ich Recht?“ „Natürlich! Es gibt keinen anderen Weg!“ „Ich kann verstehen, dass Ihr auf Vannay wütend seid. Ich konnte ihn auch nicht leiden. Dennoch gibt es einen Weg ihn zu beseitigen ohne ihn zu töten.“ Dronath sah mich verwirrt an und bat um eine Aufklärung. „Jetzt ist nicht die Zeit dafür, Dronath. Es wäre zu kompliziert und unglaublich, als das ich es euch jetzt sagen könnte. Könnt Ihr mir ein wenig Zeit geben, damit ich alles für mein Vorhaben vorbereiten kann?“ „Selbstverständlich. Aber sagte mir wenigstens, ob ich etwas für euch tun kann?“ „Gebt mir einige Proviante. Ich muss für kurze Zeit in meine Heimat reisen, um alles zu holen, was ich brauche.“ Dronath nickte und bat mich diese Nacht noch bei ihm zu übernachten. Ich nahm das Angebot dankend an und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen gab mir Dronath Proviant und Wasser und verabschiedete mich dann. Ich kehrte zu dem Felsen im Süden zurück, wo mein Verbindungsbuch lag und benutzte es. Bei mir zu Hause holte ich mir meine Tinte, meine Feder, zwei Kortee’nea und ein neues Journal. Außerdem brauchte ich noch das Buch mit den Formeln. Ich wollte ein Gefängnisbuch für Vannay erstellen. Als ich alles hatte, kehrte ich nach Jaseri zurück. Bei den Shohani angekommen, bat ich Dronath um einen ruhigen Platz an dem ich ungestört arbeiten konnte. „Bitte ruft von draußen, wenn Ihr etwas wollt, Dronath. Ich möchte nicht gestört werden. Meine Arbeit wird eine Weile brauchen.“ Dronath respektierte meine Wünsche und ließ mich allein. Ich schrieb zuerst das Verbindungsbuch zurück zu meinem Heim, so dass ich von überall zurückgehen konnte. Dann schlug ich das Buch mit den Formeln für das Gefängnisbuch auf und begann zu schreiben.
Es dauerte drei Wochen bis ich fertig war. Ich ging zu Dronath und sagte ihm, ich sei fertig. „Wie sieht nun eurer Plan aus, Hitana?“ „Beantwortet mir noch eine Frage, Dronath, dann erkläre ich euch meinen Plan.“ Dronath nickte nur und ich fragte: „Woraus macht Ihr den Stoff für eure Betäubungspfeile?“ Dronath lächelte und ging kurz nach draußen. Als er wieder hereinkam hatte er die seltsame Frucht in der Hand, welche ich schon einmal gesehen hatte. „Aber ich habe gesehen, wie ein Tier, diese Frucht gefressen hat“, sagte ich erstaunt. „Sie besitzen vielleicht eine Immunität gegen das Gift.“ „Gut. Ich möchte, dass Ihr viele Betäubungspfeile macht. Damit werdet Ihr die Wachen für eine Weile außer Gefecht setzen. Wir müssen uns nachts in die Stadt schleichen und zu Vannays Zelt vordingen. Ich werde ihn dann mithilfe meines geheimen Mittels ausschalten. Denkt Ihr, dass dies alles möglich ist?“ „Uns wird niemand bemerken, aber Ihr kennt nicht das Geheimnis des lautlosen Ganges.“ „Könnt Ihr mir diesen Gang nicht beibringen?“ „Naja, es wird vielleicht ein wenig dauern, aber ich denke, dass Ihr es schaffen könnt.“ Und so beschäftigten wir uns eine Woche lang mit dem lautlosen Gang. Danach waren wir soweit endlich zuzuschlagen. Eines Nachts schlichen wir uns zusammen mit Dronaths besten Schützen zu der Stadt. Die Schützen trafen die Wachen alle, welche leise niedersanken und ruhig liegenblieben. Dann, bei Vannays Zelt angekommen, schlüpfte ich hinein und holte das Gefängnisbuch heraus. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und legte das Buch schnell auf einen Tisch und öffnete es. Dann verschwand ich hinter einem Vorhang; gerade rechtzeitig, denn schon tauchte Vannay auf und schaute sich um. Anscheinend hatte er auch etwas bemerkt. Er sah das Buch, dessen Fenster ein sanftes Licht von sich gab, sofort und ging darauf zu. Er betrachtete lange das Fenster, welches ihm eine wunderschöne Landschaft zeigte. Dann endlich berührte er es mit den Fingern und löste sich langsam auf. Von meinem Versteck aus konnte ich noch sehen, wie ein verwirrter Ausdruck auf sein Gesicht trat, dann war er verschwunden. Ich atmete erleichtert auf und nahm das Buch.
Am nächsten Tag war alles ganz anders. Die Menschen machten einen großen Bogen um Vannays Zelt und überall wurde darüber getuschelt, dass er sich durch seine seltsamen Künste selbst geschadet hatte. Jerodan begrüßte die fünf Männer vom Shohanstamm mit offenen Armen. Alte Fehler wurden verziehen und die beiden Stämme vereinten sich und wurden wieder ein einziger. Von nun an gab es niemanden mehr, der weniger hatte, als jemand anderes. Es gab ein großes Wiedervereinigungsfest, zu dem auch ich eingeladen war. An diesem Abend gab es ein großes Bankett für alle Bewohner und danach einige Zerstreuungen. Ich lächelte still vor mich hin, als ich sah, wie glücklich sie alle waren. Ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte und das die Dinge nun wieder einen guten Lauf nahmen. Am nächsten Tag verabschiedete ich mich bei den Hurani mit den Worten, dass auch ich zu meinem Volk zurückkehren musste. Sie waren alle betrübt; aber als ich ihnen versprach wiederzukommen waren sie wieder zufrieden. Ich verlasse diese Welt mit einem guten Gefühl und freue mich schon auf meine Rückkehr und die Änderungen, welche bis dahin eingetreten sein mögen. Zu Hause schloss ich das Buch Jaseri und stellte es in mein Bücherregal zu dem Buch Shoriva. Dann zog ich meinen Mantel aus und legte mich hin. Ich schlief friedlich ein und träumte von einer neuen Welt...
_________________ Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet
Hitana Mikoyan (SL) , Hitana Jadurian (GW)
Zuletzt geändert von Hitana am 16.06.2006 - 14:33, insgesamt 1-mal geändert.
|