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Gareborne Castle, Weihnachten 1190
Ein eisig kalter, um die Türme der Burg heulender Wind ließ mich trotz der dicken Steinwände und dem warmen, pelzbesetzten Mantel frösteln. Ich wärmte meine Hände an dem Kaminfeuer und dachte über den Ablauf des heutigen Abends nach.
Der Graf von Colmouth und seine Familie waren zu unserem Weihnachtsessen eingeladen und würden uns nachher zur Mitternachtsmesse unserer kleinen Kirche begleiten. Meine Mutter hatte schon den ganzen Nachmittag über Lady Elena, die Tochter des Grafen gesprochen. Sie machte sich wohl Hoffnungen von einer Heirat und schwärmte in den höchsten Tönen von der Schönheit und wohlerzogenen Art Lady Elenas und den Vorzügen einer solchen Verbindung. Die Freundschaft zwischen den beiden Familien würde noch enger werden und ich hätte endlich eine Ehefrau.
Meine Mutter war etwas ungehalten gegenüber meiner Meinung, dass man ich erst dann eine Frau heiraten würde, wenn ich sie schon etwas kannte. Bei meinen siebzehn Sommern war eine Heirat ohnehin langsam überfällig. Dennoch hatte ich mich geweigert Lady Elena so bald wie möglich zu heiraten, sondern wollte sie erst näher kennen lernen. Mutter gab sich grimmig einverstanden und heute würde ich Lady Elena zum ersten Mal gegenübertreten.
Selbstverständlich waren mir allerhand Benimm- und Konversationsregeln beigebracht worden, aber aufgeregt war ich immer noch.
Während unsere in der Eingangshalle versammelte Familie auf die Ankunft unserer Gäste wartete, herrschte in der Küche rege Betriebsamkeit und die Bediensteten deckten eilig den Tisch. Dann war ein dumpfes Klopfen an der dicken Eichentür zu hören, die sogleich von einem Bediensteten geöffnet wurde. Meine Eltern erhoben sich von ihren Plätzen und wir schritten gemeinsam auf die Familie von Colmouth zu. Mein Vater begrüßte Graf William herzlich, gab Lady Mathilde einen Handkuss und verbeugte sich geziert vor Lady Elena. Dann kam meine Mutter an die Reihe und zum Schluss begrüßte ich die drei. Graf William war ein breit gebauter Mann mit gutmütigem Gesicht und den ersten grauen Haaren. Seine Frau Mathilde war trotz ihres fortgeschrittenen Alters eine gutaussehende Frau, die selbst durch ihre Reife und die leichten Falten immer noch recht jung wirkte. Bei Lady Elena sah man sofort, dass sie die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte. Sie hatte eine rosige Haut, braune Augen, wallendes, glattes, braunes Haar, das zum größten Teil unter einer Haube steckte und schöne, volle Lippen. Sie trug ein weinrotes Gewand unter ihrem Pelzmantel und lächelte mich schüchtern an. Mutter hatte wahrhaft nicht untertrieben! Sie war wirklich bezaubernd und doch wollte ich sie erst näher kennen lernen.
Ich bot ihr meinen Arm und geleitete sie zum Tisch, der inzwischen mit dem Festmahl gedeckt worden war. Wir setzten uns alle nieder und begannen nach dem Tischgebet, dass Elena wirklich schön aufsagte, mit dem Essen. Zuerst gab es Gemüsesuppe mit Fleischklößen, dann gefüllte Gans und zum Nachtisch kandierte Früchte. Dazu floss viel verdünnter Wein. Nach dem Essen setzten wir und an den Kamin und redeten. Elena wollte unbedingt die Burg sehen und bat sich umschauen zu dürfen. Ich bot mich als ihr Begleiter an, worauf sie dankend annahm. Wir gingen nach oben, wo die verschiedenen Räume waren. Verlegen ob der ungewohnten Gesellschaft schwiegen wir eine ganze Weile, bis ich meinen Mut zusammennahm und sagte: „Meine Mutter wünscht sich, dass ich Euch heirate. Wie steht es mit Eurer Mutter?“ Sie sah mich ernst an und sagte: „Sie hat etwas in dieser Richtung angesprochen, aber noch nicht direkt erklärt.“ „Ich habe nicht vor Euch sofort zu heiraten. Ich möchte erst einmal mehr über Euch erfahren, wenn Ihr es mir gestattet.“ Sie wirkte etwas erleichtert, als sie zustimmend nickte. Der erste Schritt war getan und ich atmete erleichtert auf.
Inzwischen hatten wir unseren Rundgang beendet und gingen zurück in die Halle, wo unsere Eltern über Politik, Wirtschaft und natürlich die Kreuzzüge redeten. Seitdem ich das erste Mal von den Kreuzzügen gehört hatte, war ich absolut fasziniert gewesen. Die ruhmreichen Ritter in den großen Schlachten waren die Helden meiner Jugend und auch ich wünschte mir eines Tages ebensolche Abenteuer erleben zu können. Ruhm und nicht Reichtum oder Wissen war das Ziel, nach welchem die Jugend zu streben hatte. Dies hatte mein Vater mich einst gelehrt, der selbst ein großer Ritter gewesen war, bis er aufgrund einer Beinverletzung, die ihn heute noch hinken ließ, nicht mehr in den Kampf ziehen konnte.
Es hieß, dass König Richard Löwenherz weitere Truppen brauchte, sobald er im heiligen Land angekommen war. Er würde sicher eine Nachricht schicken, dass weitere Ritter und waffentaugliche Männer mit dem Schiff an die Küste des heiligen Landes gebracht werden sollten. Es war nicht wirklich eine Einziehung in die Armee, sondern ein Aufruf seiner Pflicht nachzukommen und für Gott und Vaterland zu kämpfen.
Dann wurde es langsam Zeit sich auf den Weg zur Mitternachtsmesse zu machen. Wir hüllten uns in unsere warmen Mäntel und gingen dann zur Kirche. Die Weihnachtspredigt beschäftigte sich ebenfalls mit den Kreuzzügen und dauerte einige Stunden. Als wir wieder in die Burg zurückgekehrt waren, verabschiedeten wir uns von Familie von Colmouth und ich sagte Elena, dass ich ihr eine Nachricht senden würde. Dann gingen wir zu Bett und ich träumte davon, wie ich als edler Ritter gegen die grausamen Heiden kämpfte und nach meinem Sieg einen Kuss von Elena bekam.
Zwei Wochen später war der Alltag zurückgekehrt und heute waren meine Lektionen in Sachen Ritterlichkeit und Betragen des Edelmannes angesetzt. Meine Eltern bestanden darauf mir immer wieder die Regeln beizubringen, auf das ich sie nie vergaß. Zuerst kam der Zweikampf gegen unseren Waffenmeister Gilbert. Danach setzte ich mich hin, während meine Vater vor mir auf und abschritt und die Regeln abfragte. „Nenne mir die Gebote der Ritterlichkeit, Robert!“ „Religion, Krieg und Ruhm sind die drei Seelen eines vollkommenen christlichen Ritters.
Sei dem Herrn stets ergeben und sterbe für ihn, wenn es das Geschick so will. Strebe nicht nach Beute, sondern sorge für Ordnung und Gerechtigkeit, indem du Ketzer bekriegst und Arme, Witwen und Waisen verteidigst.
Brich niemals deinen Treueschwur und kämpfe mit großem Mut für dein Vaterland.“ Wie immer erinnerten mich diese Lektionen an meine Schwertgürte, durch die ich ein erwachsener Mann geworden war. Was war das doch für ein erhabener Moment gewesen!
Mein Vater nickte zufrieden und entließ mich. Ich ging auf mein Zimmer und schrieb einen kurzen Brief an Elena, in dem ich sie bat, mich in einer Woche besuchen zu dürfen, da ich gerne mit ihr ausreiten wollte. Ich gab den Brief an einen Boten ab und wartete auf eine Antwort.
Es dauerte einige Zeit bis ich eine Antwort von Elena bekam, aber ich konnte zufrieden sein, da sie mir vom Einverständnis ihrer Eltern berichtete und mit mir den Zeitpunkt des Treffens ausgemacht hatte.
Es war für die Jahreszeit ungewöhnlich warm, als wir uns an einem schönen Vormittag trafen und gemeinsam ausritten. Selbstverständlich hatte sie ihre Anstandsdame dabei, die genau darauf achten würde das wir uns keine Fehltritte leisteten; aber für solche Dinge waren wir viel zu schüchtern. Ich hatte mir in unserer Küche einige Leckereien geben lassen, die ich bei einer Rast auf dem Tisch einer leerstehenden Gaststube kredenzte. Wir ließen uns alles schmecken und nachdem wir gesättigt und ausgeruht waren, ritten wir weiter. Bis auf ein paar Höflichkeitsfloskeln hatten wir kein weiteres Wort gewechselt. Ich fand, dass es angebracht war einige Dinge zu fragen. Sonst würde ich Elena nie richtig kennen lernen. „Was tut Ihr gerne?“, fragte ich sie. Sie sah mich etwas überrascht an und sagte dann: „Ich reite gerne, mache Handarbeiten und lese viel.“ „Und was lest Ihr?“, fragte ich interessiert. „Hauptsächlich Balladen, wie das Alexanderlied und das Rolandslied, aber auch gerne Geschichten von Karl dem Großen und anderen großen Männern. „Das tut Ihr tatsächlich? Das ist ja wirklich sehr schön. Würdet Ihr mir einmal etwas vortragen?“ Sie errötete und lächelte leicht. Mein Interesse schien sie glücklich zu stimmen. Und so brachte sie zum nächsten Mal das Alexanderlied mit und trug etwas daraus hervor. Nicht nur die spannende Geschichte, sondern vor allem ihre zauberhafte Stimme und die Art wie sie die Geschichte vortrug, faszinierten mich. Zu jeder Begegnung brachte sie eine andere Geschichte mit und ich lauschte ihr völlig verzaubert. Manchmal redeten wir auch über die Geschichten oder die Kreuzzüge und ich konnte bald feststellen, dass Elena es nicht nur schätzte, das ich ebenso von den Heldensagen fasziniert war, sondern schien auch Gefallen an mir selbst zu finden. Mit der Zeit hatte sie ihre Scheu abgelegt und offener geredet und selbstbewusster gehandelt.
Ich fragte mich, ob ich es bald wagen konnte um ihre Hand anzuhalten, da ich zu dem Schluss gekommen war, dass sie tatsächlich die Richtige für mich war.
Es war inzwischen Mitte März und ich war seit einigen Tagen achtzehn Sommer alt und fand das nun ein guter Augenblick gekommen war. Und so wollte ich sie heute bei unserer Begegnung fragen.
„Schöne Elena, wir kennen uns nun schon seit einigen Monaten und ich denke du wirst mir zustimmen, wenn ich sage das wir eine Art Freundschaft zueinander aufgebaut haben und uns gut miteinander verstehen. Wir hatten genug Zeit um zu sehen, ob wir wirklich dem Wunsch unserer Eltern nachkommen können. Ich denke wir können es. Also, meine liebste Elena, möchtest du meine Frau werden?“ Sie sah mich erst überrascht, dann lächelnd an und zuletzt traten ihr Freudentränen in die Augen. „Ja!“, sagte sie und es klang wie ein Jauchzen. Ich lächelte sie glücklich an und dann kehrten wir zurück, um unsere Eltern zu bitten, die Heirat abzusegnen. Beide Elternpaare waren sehr glücklich und zufrieden. Zu Hause legte ich mich glücklich ins Bett, mit dem wunderbaren Gefühl des Verliebt seins und in der freudigen Erwartung auf die bald folgende Hochzeit und ein glückliches Leben mit Elena.
Doch alles sollte anders kommen...
Fortsetzung folgt...
_________________ Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet
Hitana Mikoyan (SL) , Hitana Jadurian (GW)
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