Sie verließ Sermans Hütte und sah zu Thalan, der die ganze Zeit auf sie gewartet hatte. Serman musste ihm bereits gesagt haben, was er nun für eine Aufgabe hatte. „Du wirst jetzt also auf mich aufpassen, Thalan“, sagte sie feststellend. Er nickte nur. „Wohne ich auch bei dir?“ Er nickte wieder. „Na gut, dann zeig mir mal deine Hütte“, sagte sie ein bisschen irritiert davon, dass er kein Wort sagte. Er führte sie zu einer mittelgroßen Hütte und deutete hinein.
Atiana trat einfach ein und wurde sofort von sechs erstaunten Augenpaaren angestarrt. Sie roch Essen, Rauch, Gewürze und Blumenduft. Die Hütte wurde durch seltsame „Pilze“ an den Wänden erhellt, die ihr auch schon bei Serman aufgefallen waren. Das mussten bioluminiszente Sporen oder so etwas sein. Die Hütte wirkte eng aber doch gemütlich. Sie war freundlicher und normaler als die von Serman eingerichtet. Ein Herd mit einem Loch darüber, so dass der Rauch abziehen konnte, vier einfache Betten in einer Ecke, vier Stühle und ein Tisch in einer anderen Ecke, ein paar Kisten, die Gebrauchsgegenstände enthalten mochten und ein großer Schrank füllten die Hütte gut aus.
Atiana schaute sich die drei Leute an. Der Mann musste Thalans Vater sein, die Frau seine Mutter und das kleine Mädchen seine Schwester. Die Eltern sahen für Atianas Begriff recht alt aus, obwohl sie vielleicht im selben Alter wie Serman sein mochten. Die Frauen trugen ein sackartiges Gewand, dass Atiana nicht gerade hübsch fand. Dann dachte sie daran, wie sie selbst gekleidet war und verstand warum man sie so anstarrte. Das war aber nicht der einzige Grund. Alle Menschen hier hatten dunklere Haut und Haare als sie. Und dann waren da natürlich auch die seltsamen Gegenstände, die sie bei sich trug.
Sie schaute zu Thalan, der ebenfalls die Hütte betreten hatte und fragte leise: „Warum lebst du nicht alleine?“ „Mann leben bei Familie bis heiraten“, antwortete er. Atiana nickte verstehend. Das hieß er war noch nicht verheiratet. Sie räusperte sich und sagte an die anderen drei gewandt Hallo. Thalan stellte sie einander vor und erklärte seiner Familie in einer Sprachmischung aus D’ni und etwas anderem, dass Atiana bei ihnen leben würde und er auf sie aufpassen müsste.
Thalans Mutter Wimar lächelte Atiana freundlich an und machte sich an die Vorbereitungen für das Abendessen. Thalans Vater Joparn sagte, dass Atiana das Bett von Thalans Schwester Nasri bekommen würde, die nun auf dem Boden schlafen musste. Atiana wollte protestieren, doch Joparn winkte ab und sagte, dass es ja nicht anders ging. Insgeheim war Atiana ganz froh, obwohl sie sich fragte, ob sie hier gut schlafen konnte. Das war alles so anders als in D’ni, wo sie ihr eigenes Zimmer hatte, aber jetzt musste sie sich an ein neues Leben gewöhnen!
Thalan, Nasri und Joparn setzten sich an den Tisch und Atiana folgte ihnen. Wimar servierte ihnen eine gut duftende Suppe in einfachen Holzschalen. Atiana wollte schon nach ihrem Löffel greifen, doch Thalan hielt sie zurück. Erst als Wimar auch am Tisch saß und sie ein Dankgebet gesprochen hatten, durften sie anfangen. Atiana tauchte ihren Löffel in die Suppe und schaute sich an was auf dem Löffel lag. Das war alles unbekannt, obwohl sie vermutete, dass es Gemüse war. Dann war da noch etwas was wie Fleisch aussah. Atiana zögerte. Es duftete gut, aber schmeckte es auch gut?
Thalan sah sie an, lächelte und sagte auffordernd: „Iss! Gut!“ Atiana nickte und führte den Löffel langsam zum Mund. Es war ihr peinlich, dass sie so offen ihr Misstrauen gezeigt hatte und so unhöflich gewesen war. Sie schluckte die Suppe herunter kaute langsam die Gemüsestücke und das Fleisch. Es schmeckte köstlich! Sie lächelte in die Runde, hob die Schale und sagte: „Sehr gut!“ Wimar lächelte ebenfalls und das Eis war gebrochen.
Die Familie tat ihr bestes sich einigermaßen mit Atiana zu unterhalten und Atiana tat ihr bestes um sie zu verstehen. Am meisten redete aber Thalan, der ja auch am besten D’ni sprach. „Ich nicht darf viel sagen über unser Volk, nur das Wichtigste. Ich werde beobachten dich und sehen, was du denken von unseren Bräuchen und wie du dich verhalten. Dann berichten ich Serman und er sagen, ob du kannst bleiben und mehr erfahren. Gibt es etwas du möchtest fragen?“ „Einiges, Thalan, aber du musst mir sofort sagen, ob du etwas darüber sagen darfst! Also gut, erzähl mir einfach alles von eurem Volk, was du mir erzählen darfst."
Und so erzählte Thalan ihr, von der Rollenverteilung zwischen Frau und Mann, dem Stellenwert von Kindern, wann man die Reife erreichte, wann man als alt und weise galt, gab einen ganz kurzen Abriss über die Religion und erzählte was angebaut, gesammelt und gejagt wurde. Dann berichtete er von ein paar Gefahren, die im Palmenwald lauerten und erzählte noch ein bisschen von den Gebräuchen der Feorin, wie das Volk sich nannte.
Nach dem Essen war es zum Beispiel Brauch, dass die Eltern immer eine der alten Geschichten erzählten. Dafür setzten sie sich jetzt vor die Hütte im Kreis hin und Joparn und Wimar begannen gemeinsam eine Geschichte über Sataras Kampf gegen den Termag zu erzählen, wobei sie sich immer wieder abwechselten. Das zog sich noch bis spät in die Nacht hin, doch es war eine sehr spannende Geschichte, die Atiana mit Interesse verfolgte. Als sie dann zu Ende war, schien das ganze Dorf zu Bett zu gehen. Die Pilze in der Hütte wurden durch eine leichte Berührung „ausgeschaltet“ und alle legten sich hin. Atiana schlief trotz des etwas unbequemen Betts sofort ein.
_________________ Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet
Hitana Mikoyan (SL) , Hitana Jadurian (GW)
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