In Amarnath
Die fünf Forscherinnen erschienen nacheinander in einer kleinen, leeren Gasse, über die prächtige Gebäude ragten. Als letzter erschien Voranu und alle sahen sich erst einmal beeindruckt um. „Wir müssen uns in einem der reichen Stadtviertel befinden. Die Gebäude sind einfach wunderschön!“, meinte Sharie. „Dies ist der Stadtteil, in dem Krenou lebt. Sein Haus ist nicht weit entfernt.“, sagte Voranu. „In Ordnung, dann sollten wir uns jetzt trennen. Voranu, du suchst Reynams Versteck für das Verbindungsbuch auf und entfernst es von dort, damit er nicht flüchten kann. Wir anderen werden Krenou aufsuchen und mit ihm reden. Vielleicht bekommen wir einige neue Erkenntnisse.“, sagte Hitana. Voranu nickte, beschrieb ihnen noch schnell den Weg zu Krenous Haus und entfernte sich dann. Die Forscherinnen gingen in die entgegengesetzte Richtung die Gasse herunter weiter und sahen sich dabei die ganze Zeit staunend um. „Diese Gebäude sind wirklich großartig, aber warum wirken sie so verfallen?“, fragte Sharie. „Zum Anfang meiner Reise fiel ich in der Wüste durch eine Dimensionsfalte in eine Baumwelt, wo ich das Tagebuch eines Mannes namens Fendor fand, der ein Freund meines Vaters war. Er war ebenfalls in Amarnath und der König dieses Reiches erzählte ihm, dass Reynam an dem Verfall dieser Welt schuld sei, weil er die Welt in der sein Bruder lebte zerstören wollte. Das Wasser ist schwarz geworden, die Gebäude sind aufgrund von Erdbeben verfallen und der Himmel ist düster bewölkt. Das Volk hier kann froh sein, dass sich Reynam irgendwann anderen Dingen zugewandt hat.“, erklärte Hitana. „Hat dieser König auch etwas über Reynams Vergangenheit erzählt?“, fragte Thora. „Ja und er hat ihm folgendes erzählt“, sagte Hitana, holte das Tagebuch heraus, suchte nach der richtigen Seite und las vor: „Ein Schreiber hatte zwei Söhne, denen er beiden die Kunst beibrachte. Der jüngere Sohn hörte eines Tages von seiner Großmutter, dass es angeblich ein Buch über die Regeln der Kunst gab und das dort völlig andere Dinge standen, als der Vater gelehrt hatte. Die Neugier des Sohnes war geweckt und er machte sich auf die Suche nach dem Buch. Als er es gefunden hatte, lernte er heimlich damit und brachte es zu einem sehr guten Schreiber. Er hatte das Prinzip verstanden. Anders war es bei seinem älteren Bruder. Er hörte nur auf seinen Vater und schaffte es so nur zu einem ziemlich schlechten Schreiber. Außerdem glaubte er mit der Kunst zu einer Art Gott geworden zu sein, der mit den Welten machen konnte, was er wollte. Fehlversuche hielt er für einen Fehler im System und nicht bei sich selbst. Er sah die großartigen Welten, die sein Bruder geschrieben hatte und wurde neidisch. Er verändert jetzt heimlich die Bücher und bringt die Welten ins Ungleichgewicht. Viele sind dem Feuer zu Opfer gefallen und viele Zivilisationen untergegangen. Der jüngere Bruder versucht immer noch seinem Bruder beizubringen, dass er den falschen Weg geht, aber dieser hört nicht auf ihn. Er weiß keinen Weg seinen bösen Bruder aufzuhalten.“ Thora runzelte die Stirn und meinte: „Das klingt so, als würde er Reynam für einen Teufel halten. Das passt nicht zu dem Bild, welches ich von ihm habe. Es wird sicher gut sein, verschiedene Leute zu diesem Thema anzuhören, die sich mit dieser Geschichte auskennen. Manche sehen die Dinge anders als andere.“ Hitana nickte und dann schwiegen sie wieder und suchten weiter nach dem richtigen Haus.
Einige Zeit später kamen sie an dem Haus an, welches ihnen Voranu beschrieben hatte. Es war ein prächtiges herrschaftliches Haus, dass etwas weniger unter dem Verfall gelitten hatte. Sie betrachteten eine kleine Weile die verzierten Säulen, das Fresko über der Tür und die feinen Schnitzereien in der großen Tür und stiegen dann die Treppe hoch. Vorsichtig klopfte Hitana an die Tür und kurze Zeit später öffnete sich eine kleine Klappe in der Tür, durch welche ein Diener schaute. „Was wünscht ihr?“, fragte er. „Wir möchten zu Krenou. Wir möchten mit ihm über Reynam sprechen. Wir sind Forscher aus D’ni.“ Die Tür öffnete sich einen Spalt und der Diener musterte uns etwas misstrauisch. „Ich werde ihn fragen, ob er Zeit hat. Einen Moment bitte.“ Er schloss die Tür wieder und kam nach einiger Zeit wieder. „Herr Krenou, wird euch jetzt empfangen. Bitte folgt mir.“ Sie betraten die große Eingangshalle des Hauses, die mit prächtigen Bodenmosaiken und großen Wandgemälden geschmückt war. Staunend folgten sie dem Diener durch den Raum, in dem ihre Schritte von den Wänden wiederhallten zu einer Treppe am Ende der Halle. Diese war mit einem roten Brokatteppich ausgelegt und führte in das erste Stockwerk. Von einem ebenso schön ausgestatteten Flur gingen drei Türen auf jeder Seite ab. Aus einem dieser Zimmer kam gerade eine ältere Dame, die wie eine Putzfrau gekleidet war und ging mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei.
Am Ende des Ganges befand sich eine weitere Tür. Zu dieser gingen wir jetzt und der Diener klopfte an. Von drinnen konnten wir ein gedämpftes „Herein!“ hören, dann öffnete der Diener die Tür und wir standen in einem äußerst beeindruckenden Arbeitszimmer. Beherrscht wurde es von den Bücherregalen, die bis zur Decke reichten, sowie einem massiven Schreibtisch aus dunklem Holz. An diesem Schreibtisch saß ein Mann, der in ein fließendes, lavendelfarbenes Gewand gekleidet war, ebenmäßige, schöne Gesichtszüge und langes braunes Haar hatte. Sein Gesicht strahlte Weisheit aber auch Gram aus und obwohl er nicht alt aussah, merkte man ihm sein Alter an. Die hellbraunen Augen leuchteten leicht auf, als er uns sah und erhob sich und begrüßte jede von uns. Dann bat er seinen Diener Stühle für uns zu holen und bot uns dann an uns zu setzen. Schließlich sah er von einer zur anderen und sagte: „Ich bin froh Forscherinnen aus dem fernen D’ni zu sehen. Wir hatten vor vielen Jahren das letzte Mal Besuch von einem Forscher namens Fendor, den ich leider nie persönlich kennen lernen konnte. Ich hörte aber, dass D’ni nach seinem bedauernswerten Fall wieder von Forschern aufgebaut wird. Macht die Restauration Fortschritte?“ „Die Restauration ist so weit abgeschlossen, dass wir Forscher jetzt D’ni bewohnen können.“, sagte Hitana. „Es freut mich das zu hören. Nun, ich hörte ihr wolltet mit mir über meinen boshaften Bruder Reynam sprechen.“ [/B[B]]„Das ist richtig. Wir möchten gerne etwas über seine Vergangenheit wissen und wie es dazu kam, dass er so wurde wie er jetzt ist.“, sagte Thora.
„Wie ihr wünscht. Reynam war zwar der Ältere, aber nicht unbedingt der Klügere. Dies wird wohl der Grund gewesen sein, warum er nie darauf gekommen ist noch andere Quellen zu Rate zu ziehen. Außerdem war er unserem Vater gegenüber sehr loyal und stellte daher seine Lehren nie in Frage. Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass er schon immer etwas wankelmütig war und daher ziemlich verletzt, als er merkte das ich besser war als er, obwohl ich eher unkonventionelle Wege gewählt hatte und trotzdem besser ans Ziel gekommen bin. Er ist dann auch neidisch geworden, hat aber selbst dann die Lehre unseres Vaters nicht angezweifelt. Er glaubte irgendwann unser Vater hätte ihm absichtlich das Falsche beigebracht, weil ich schon immer eher sein Liebling war. Er fühlte sich verraten und zu dieser Zeit muss wohl auch seine gespaltene Persönlichkeit aufgekommen sein. Zum einen hasste er mich und unseren Vater, weil er dachte wir hätten uns gegen ihn verschworen, zum anderen war er unserem Vater gegenüber immer noch loyal und freundlich. Ich habe versucht ihm zu helfen, aber er hatte diese grausige und völlig idiotische Vorstellung ein Gott zu sein, der die Welten schafft welche er schreibt und nicht bloß eine Verbindung schlägt. Darum ist es mir nie gelungen ihm zu helfen. Irgendwann hat er sich dann völlig von mir abgewandt, weil er glaubte ich würde ihn mit meinen Lektionen an der Nase herumführen. Das ist alles was ich dazu sagen kann.“ Wir nickten nachdenklich vor uns hin und Thora runzelte leicht die Stirn. Dann sah sie ihn an und sagte: „Reynam ist hier in Amarnath und auf dem direkten Weg zu euch. Einer seiner versklavten Diener hat ihn beobachtet und gehört, wie er gesagt hat das er euch diesmal töten will. Seid also vorsichtig, wenn es wieder klopft.“ „Danke für die Warnung. Hmm, dann sollte ich mich lieber auf seine Ankunft vorbereiten.“ „Wir kommen später noch einmal wieder und werden euch helfen, falls er dann schon da ist und euch bedroht. Jetzt möchten wir uns aber noch etwas alleine beraten.“, sagte Thora. „Nun gut, so sei es. Ich hoffe euch geholfen zu haben.“ Wir standen auf, verneigten uns leicht und gingen dann nach draußen auf den Flur. Sharie sah Thora etwas irritiert an. „Warum sollten wir uns denn noch unter einander beraten. Ich finde er hat alles sehr logisch erklärt.“ „Ja, das mag so scheinen, aber ich glaube er sagt die Dinge nur so, wie er sie sieht. Vielleicht sollten wir mit jemandem reden, der genau Bescheid weiß, sich aber neutral zu den Dingen hält.“, meinte Hitana. „Und wer soll das sein?“, fragte Cathy. „Ihr habt doch auch vorher diese alte Frau gesehen. Vielleicht ist das Krenous Haushälterin und dem Alter nach zu urteilen könnte sie etwas über die Kindheit und Jugend von Krenou und Reynam wissen. Wir sollten sie abfangen, wenn sie in ihre Behausung geht und mit ihr reden.“, sagte Thora. So gingen sie also wieder zurück in die Halle, von der ein anderer Gang zu den Dienstbehausungen führte. Dort warteten sie eine Weile, bis die alte Frau in dem Gang erschien und Hitana sprach sie an. „Sie sind Krenous Haushälterin?“ Die alte Frau sah erstaunt auf, als sie angesprochen wurde und nickte. „Wie lange arbeiten sie schon für ihn?“ Die Alte verzog das Gesicht und sagte: „Ich war die Amme von diesen beiden Jungens.“ „Können wir mit ihnen in ihrer Wohnung über die Kindheit und Jugend der Beiden reden?“ Sie sah uns mit zusammengezogenen Augen an und sagte dann: „Na gut, kommt rein.“ Wir folgten ihr in ihre einfache Behausung, die einen starken Kontrast zu den anderen prächtigen Räumen bildete. Sie deutete auf einige einfache Hocker und gab uns einen gut duftenden Tee zu trinken. „Tja, ich kenn die Jungens schon seit ihrer Geburt. Reynam war ein sehr freundlicher, kleiner Kerl. Immer brav und gut. Er stand seinem Bruder in nichts nach. Der Vater hat beide genauso stark geliebt und ihnen das beigebracht, was er wusste. Krenou war seinem Vater gegenüber immer etwas kritisch gegenüber eingestellt und nachdem er das Buch über die Kunst gefunden und studiert hatte, wurde er ziemlich hochmütig und aufmüpfig, da er die Dinge besser konnte als sein Vater und sein Bruder. Er hat seinem Bruder nie von dem Buch erzählt. Als Reynam seinem Bruder seine Welten zeigte, hat dieser gelacht und den Kopf geschüttelt. Diese fehlgeleiteten Versuche Reynams waren für ihn lächerlich und er begann ihn wegen seiner Unfähigkeit aufzuziehen und ihm zu sagen, dass er dumm sei und das sein Vater ihm absichtlich das Falsche beigebracht hätte. Der brave Reynam wusste nicht mehr was er denken sollte und begann sich zu einem wechselhaften Charakter zu entwickeln. Er wollte seinem Vater gegenüber nicht aufmüpfig sein, aber andererseits wollte er ihn immer wieder zur Frage stellen. Krenou hat ihm nie geholfen seine Einstellung gegenüber der Kunst zu ändern. Immer wenn Reynam um seine Hilfe bat, hat Krenou nur gelacht und gesagt, dass Reynam zu dumm wäre die Komplexität der Kunst zu verstehen. Reynam begann verständlicherweise ihn zu beneiden und zu hassen und begann erst einmal damit, seine Welten zu zerstören, bis er irgendwann aufhörte weil etwas anderes sein Interesse weckte. Ich glaube, dass die Sticheleien Krenous Reynam zu dem gemacht haben, der er heute ist. Die Frage ist nur, wie man ihn von diesem inneren Dämon befreien kann.“ Thora hatte also Recht gehabt. Krenou war Reynams großes Problem.
Plötzlich hörten sie an der Portaltür ein lautes Getöse. Schnell bedankten sie sich bei der Haushälterin und rannten in die Halle zurück. Dort sahen sie gerade Reynam oben im ersten Stockwerk ankommen und stürmten schnell hinterher. Er riss gerade die Tür zu Krenous Arbeitszimmer auf, als sie am Anfang des Ganges ankamen und stürmte in das Arbeitszimmer. Sie rannten schnell hinterher und kamen genau in dem Moment an, als Reynam einen langen Dolch zog und langsam auf Krenou zuging, der es vor lauter Überraschung nicht geschafft hatte eine Waffe zu ziehen. „Reynam, tu es nicht!“, schrie Hitana und stellte sich zwischen Reynam und Krenou. Reynam blieb ruckartig stehen und sah sie böse an. Er hob seinen Dolch, um sie zu erstechen, als plötzlich eine Veränderung in seinem Gesicht vorging. Langsam senkte sich der Dolch und Reynam runzelte leicht verwirrt die Stirn. Er war wieder in seiner normalen Verfassung. Dies war die einzige Möglichkeit ihm irgendwie zu helfen. Hitana atmete tief durch und sagte: „Reynam, du bist gerade dabei deinen Bruder zu ermorden. Ich weiß, warum du dies tun willst und ich kann deinen Hass verstehen, aber denk noch einmal darüber nach. Die Loyalität deinem Vater gegenüber war nicht falsch, aber jetzt musst du nicht mehr loyal sein, denn er ist tot. Dein Bruder hat dich geärgert und verwirrt, indem er dir erzählte das dein Vater dich weniger liebt als ihn und dir das Falsche beigebracht hat. Dein Vater konnte es nicht besser als du und er hat dich immer genauso geliebt, wie Krenou. Du bist nicht dumm; du hast nur nicht davon gewusst das es ein Buch gibt mit dem man die Kunst auf die richtige Weise lernen kann. Wenn du jetzt aufhörst zu glauben, dass du ein Gott bist und die Welten selbst schaffst, dann kannst du noch zu einem guten Schreiber werden. Dann wirst du nicht mehr neidisch auf Krenou sein müssen und du wirst wissen, dass er nur hochmütig war und dich für dumm hielt obwohl du es nicht bist. Verbanne die Dämonen aus deinem Herzen und du wirst wieder ein glücklicher Mensch sein. Denk daran, wie du unter deiner bösen Seite leidest, deren Stimme dir sagt du sollst etwas schlechtes zu machen. Du kannst dich von ihr befreien, wenn du dich nur etwas änderst! Krenou, sag ihm das er es schaffen kann!“ Krenou räusperte sich nur und schwieg weiter. „Krenou!“ „Äh, Reynam, ich glaube du kannst es schaffen.“, sagte er zögerlich. Reynams Gesicht erhellte sich und er lächelte. Er ließ den Dolch ganz sinken und sagte: „Ich denke ich sollte mich zurückziehen, um meinen Geist von dem bösen Dämon befreien. Du bist nicht mehr in Gefahr, Krenou und auch kein anderer.“ „Es freut mich, dass du dich ändern willst Reynam. Ich denke aber du solltest aufpassen, wenn du mit anderen Augen auf dein Werk schaust. Vielleicht wirst du dich dann selbst hassen, aber das musst du nicht, denn es war nicht wirklich du, der all diese Zerstörung angerichtet hat. Eines Tages wirst du denen helfen, welchen du zuerst Schaden zugefügt hast und sie werden dich nicht mehr fürchten, sondern ehren. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber egal was passiert: Gib nicht auf, denn am Ende wirst auch du schöne und stabile Welten schaffen können. Fang am Besten bei den Fortam an und gib ihnen eine neue, schönere Welt damit sie nie wieder ein entbehrungsreiches Leben führen müssen!“, sagte Hitana. Reynam nickte und sagte: „Ich verspreche es.“ Die Forscherinnen strahlten und verabschiedeten sich von den Beiden. Vor Krenous Haus trafen sie Voranu und berichteten, was vorgefallen war. Er strahlte und sagte: „Gut. Ich werde das Verbindungsbuch zurück nach Maremmen benutzen und meinem Volk die freudige Nachricht überbringen. Ich danke euch allen für eure Hilfe. Dank meiner Fähigkeiten sehe ich für euch alle vorbestimmte Schicksale. Findet ihr heraus, was sie sind, so wendet euch nicht davon ab sondern meistert eure Aufgaben. Ihr könnt euch immer auf die Hilfe eurer Kolleginnen verlassen. Gemeinsam werdet ihr die schwersten Aufgaben auch bewältigen können. Nun, von hier aus ist es euch überlassen, welchen Weg ihr geht.“
_________________ Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet
Hitana Mikoyan (SL) , Hitana Jadurian (GW)
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